Das steht auf der ersten Seite unter einem für Japan symbolträchtigen Kirschbaum, dessen Blüten gerade fallen. Die Geschichte der sagenumwobenen „47 Ronin“ ist äußerst bekannt und wurde über die bereits mehr als 300 Jahre lange Tradierung mehrfach verändert und ins Absurde geführt, wie man in einigen US-amerikanischen Spielfilmen deutlich sehen kann. Mike Richardson, der Gründer von Dark Horse Comics, hat sich dieser ihm lieb gewonnenen Sage angenommen.
Dafür nahm er sich den wohl besten künstlerischen Partner aus dem eigenen Hause, um dieses Epos zu visualisieren. Stan Sakai, geboren in Japan und emigriert in die USA, ist einer der Vertreter für Geschichten des feudalen Japans, wie man in „Usagi Yojimbo“ klar ersehen kann. Als redaktionelle Hilfe unterstützte Richardson der Künstler Kazuo Koike, der seinerseits bekannt geworden ist für sein Werk „Lonely Wolf & Cub“, einer vielfach adaptierten Geschichte über einen einsamen Samurai, der mit seinem minderjährigen Schützling durch Japan streift. In deutscher Übersetzung hat der Dantes Verlag dieses mit Interviews und zusätzlichem Material ausgeschmückte Hardcover nach Deutschland gebracht.
Ein Stück Geschichte?
Zu Beginn sollte gesagt werden, dass diese Geschichte zu großen Teilen eine Verklärung der Geschichte ist. Viele Evidenzen sprechen eine andere Sprache über die Ereignisse im Japan des frühen 18. Jahrhunderts.
1701 beginnt diese Geschichte unter der Herrschaft vom Shogun Tokugawa, dessen höfische Politik vorsah, dass die Daimyos (Landesfürsten) regelmäßige Besuche am Hof des Shoguns abhalten. Diese Methode zur Zeit des langen Friedens und der dadurch sinkenden Relevanz einer Kriegerkaste wie den Samurai führte dazu, dass die Daimyos immense finanzielle Mittel für diese monatelangen Besuche aufbringen mussten. Daher waren wenige Gelder vorhanden, um Kriege zu führen oder Revolten zu finanzieren.
In diesem um Edo (heutiges Tokyo) zentrierten System war es von größter Wichtigkeit, höfische Rituale einzuhalten, ehrbar zu sein und Respekt zu zollen. Der höfische Berater Kira war zum Zeitpunkt der Handlung – in der Fiktion und der Realität – einer der Ausbilder in den höfischen Regeln. Der Daimyo Asano geriet mit diesem in Konflikt, fühlte seine Ehre beleidigt und griff ihn an. Dieses Verhalten war unzulänglich am Hofe des Shoguns, da keine Waffe gezogen werden durften und schon gar kein Blut diesen reinen Ort verschmutzen sollte.
Fakt oder Fiktion
Hier trennen sich Fakt und Fiktion erheblich. In der Legende wollte sich Asano nicht der Bestechlichkeit des Kira unterwerfen und musste dafür massive Beleidigungen ertragen. Daraus resultierten der Angriff und schließlich seine Verurteilung zum Tode. In der Geschichtswissenschaft kann nicht klar bestätigt werden, warum der Angriff zustande kam. Klar scheint jedoch klar, dass Asano ein rauer, militärisch ungebildeter und unsittenhafter Daimyo gewesen sein soll.
Die Verurteilung erfolgte schnell und Seppuku – der ritualisierte Selbstmord durch Bauch aufschneiden und geköpft werden – wurde durchgeführt.
So wurden alle seine Vasallen zu herrenlosen Samurai, den Ronin. Kira rechnete mit einem unmittelbaren Vergeltungsschlag, den die Ronin jedoch unterließen. Anstelle dessen nahmen sie Doppelleben an, suchten sich Arbeit, wurden Trunkenbolde und Spieler, um nicht so zu wirken, als wäre ihnen viel daran gelegen, Rache auszuüben. Zwei Jahre später sollten sie sich schließlich rächen und die Festung des Kira überfallen, um alle dort anwesenden Samurai und Wachleute umzubringen. Der verhasste Kira starb als letztes, da er versuchte, sich in einem geheimen Teil der Festung zu verstecken.
Diese Geschichte um die 47 Ronin gilt bis heute als große Erzählung von Loyalität, Ehre und Ausdauer, die auch in Zeiten des sich radikalisierenden Nationalstaats Japan im frühen 20. Jahrhundert gern genutzt wurde. Auch noch heute finden sich Gedenkstätten und Festivals in den Provinzen des ehemaligen Fürsten Asano, die den ehrenhaften Samurai und ihrer langjährig geplanten Rache gedenken.
Der Stil
Stan Sakai ist der Zeichner dieses Werks und das lässt sich sofort erkennen. Man sieht klar inszenierte Panels, saubere Outlines, aufwendig gestaltete Szenerien und vor Authentizität strahlende Figurendesigns. Der Künstler selbst sagte – nachzulesen im Interview im Anhang -, er habe sich an Posen und Inszenierung alter Holzdrucke orientiert.
Die Figuren sind natürlich sehr überstilisiert und zeigen – Sakai üblich – teils sehr expressive Gesichtsausdrücke und große Gesten. Diese sehen zudem – wie in „Usagi Yojimbo“ – Figuren aus Karikaturen oder Cartoons ähnlich. Dieser eher frische und leichte Stil wird dadurch unterstützt, dass nur wenig Blut und brutale Gewalt explizit gezeigt wird. Dies heißt nicht, dass nicht auch abgetrennte Köpfe, Schwertkämpfe oder Hinrichtungen zu sehen sind. Allerdings bei Weitem nicht so exzessiv, wie man es bei einer solchen Geschichte erwarten würde und möglicherweise könnte.
Zudem fügt die Kolorierung einen erheblichen Teil zum Charme dieser Graphic Novel hinzu. Schattierungen werden oft durch dunklere Töne derselben vorliegenden Farbe vorgenommen. Es ist unscheinbar, aber funktioniert ziemlich gut. Schlichte einfarbige Hintergründe mit einem zu weiß werdenden Farbgradienten zieren außerdem häufig die Dialoge. Die Kleidung der Menschen ist in ihrer farblichen Wirkung und der Verteilung von Farben sehr schön umgesetzt. Klare Farbschemen lassen sich wiedererkennen. Blau sind die Farben der „Guten“, Rot hingegen wird den vermeintlichen Feinden verliehen. Außerdem sehen die Farbflächen nie ganz glatt aus, als hätte man einen leichten Farbsprenkler über die Kleidung gegeben. Dies verstärkt die haptische, nach Stoff aussehende Wirkung ganz subtil.
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