Hin und wieder entdeckt man einen Comic-Verlag mit fantastischen Titeln und einer langjährigen Geschichte. So geschehen mit dem Verlag „Schreiber&Leser“, der den überaus spannenden und visuell ansprechenden Titel „Auf dem Wasser“ verlegt hat. Der seit 1981 bestehende in Hamburg sitzende Herausgeber von „Feine(n) Comics für Erwachsene“ gewann 2021 den Deutschen Verlagspreis und zeichnet sich seit über 40 Jahren als eine konstante Qualitätsgarantie aus. Neben einiger Genres wie Erotik, Manga oder Crime-Noir, die der Verlag abdeckt, brachte dieser Verlag als erste solch prestigeträchtige Reihen wie Sin City oder Hellblazer (Vorlage für den Film Constantine) auf den deutschen Markt.
Mit „Auf dem Wasser“ startete der französische Künstler Benjamin Flao sein bereits drittes mehrteiliges Projekt. Diese ursprünglich im französischen Verlag Futuropolis erschienene Geschichte erblickte 2022 zum ersten Mal das Licht der Welt. Dank der Übersetzung von Resel Rebiersch (Schreiber Leser in Spiegelschrift) und der Förderung durch das Institute Français darf das deutschsprachige Publikum nun auch in „L’âge d’eau“ (wörtlich: Zeitalter des Wassers) eintauchen.
Ein Traum in Blau
Wir beginnen diesen Comic aus der Perspektive eines Mannes, dessen Träume dominiert werden von Blau. Das Gefühl seine Form zu verändern, selbst als er vermeintlich wach scheint, lässt ihn in die Haut eines Hundes schlüpfen. Dieser wird nun im Folgenden der Erzähler, kritisch Nachfragende und Problemlöser dieser Geschichte. Außerdem ist er Blau.
Der Protagonist, der zu erkundenden Welt, Hans Vogel ist gerade im Begriff zu seiner Mutter zurück zu kehren. In aller Seelenruhe führt er mit dem Boot durch eine postapokalyptische Realität. Die Welt ist nicht mehr, was sie mal war, denn nahezu jedes Stückchen Land steht mehrere Meter unter Wasser. Nur noch einige Bäume und Häuserdächer ragen über das endlose neue Meer hinaus. So blieb den Menschen nicht viel, als sich in schwimmenden Siedlungen um ihr Überleben und das Miteinander zu kümmern. Die resolute Dame und Mutter des Protagonisten Jeanne Vogel zeigt sich stur, ja fast kämpferisch. Wäre sie nicht schon so alt, so wäre sie sicher selber losgezogen, um sich eine neue sicher Anlegestelle zu suchen. Denn natürlich herrscht in einer solchen globalen Krise ein politisches System kontrapunktisch zum Naturzustand der Welt, eine autokratische Diktatur. Jene Regierung strebt danach sämtliche Menschen dieser Gegend in offizielle Siedlungen und Städte zu migrieren, wenn es sein muss auch mit härtester Gewalt.
Zwei Brüder, ein Hund und ein Mysterium
So zieht also Hans los, schnappt sich seinen einsilbigen Bruder Gorza und begibt sich auf die Suche nach einem Ort der letzten Ruhe ihrer beider Mutter. Auf dem Weg ereignen sich allerlei eigenartige Dinge, die sich zwischen Übersinnlichkeit, Magie und Soziologie bewegen. Dabei gelingt es Flao die Figuren, ihre Motive, ja ihr Wesen, so greifbar und authentisch zu erzählen, dass man in keinem Moment an ihnen zweifelt. Nicht zu vergessen ist diesbezüglich der Familienkonflikt, den Hans mit der Mutter ihrer gemeinsamen Tochter hat. Die Geschichte der Tochter symbolisiert den Widerstand, die Rebellion und den Kampf gegen das etablierte System in kräftigen Dialogen.
Der Erzähler bleibt durchgehend in der beobachtenden und berichtenden Perspektive des Hundes. Dieser Comic bewegt sich zwischen Traum und Bericht, bleibt aber ambivalent und lässt Deutungsspielräume offen. Zwar überrascht die scheinbar übernatürlichen Kräfte des blauen Hundes, doch ist dieser auch das handlungstragende Mittel der Abstraktion. Seine Monologe, die ins kosmische, universale und mystische Abschweifen erzählen von großen Zusammenhängen der Menschheit, der Schöpfung und der Natur.
Visuelle Vielfalt
Der Blick auf das Cover lässt eine seichte und malerische Gestaltung dieses Comics vermuten. Allerdings zeigt sich die Kunst des Benjamin Flao als eine andere. Sie erinnert stark an die alten Meister franco-belgischer Comics wie Claude Auclair und birgt zeitgleich eine gewisse moderne Schärfe und Reduktion. Einige Vergleiche mit dem italienischen Künstler Gipi lassen sich heranziehen, da auch dessen Werke reich an Zeichnungen sind, die aussehen, als würd man sie komplett aus freier Hand in die Reinzeichnung bringen.
Die Kolorierung verkörpert einen klaren Aquarell-Stil, der vor allem in den Dialogen klar auszumachen ist. In den ganzseitigen Malereien lässt sich zudem eine gewisse Struktur im Bild erkennen, was auf ein weiteres Medium schließen lasse. Das kunstvolle Spiel der teilweise dichten Schraffuren und den wiederum manchmal nur schematisch dargestellten Hintergründen erzeugt eine fantastische Wirkung. Jedes Szenario erscheint auf eine seltsame Art und Weise bekannt und dennoch neuartig und interessant zu entdecken.