Manchmal ist ein Spiel nicht nur ein Spiel, sondern ein melancholisches Gemälde, das zum Leben erwacht – und genau das ist Clair Obscur: Expedition 33. Ich hatte die Gelegenheit, diesen französischen Indie-Traum von Sandfall Interactive vor dem offiziellen Release auf meinem Steam Deck zu spielen. Was sich zuerst wie ein klassisches JRPG tarnt, entpuppt sich schnell als kunstvoller Mix aus emotionalem Storytelling, cineastischem Kampfsystem und audiovisueller Opulenz, die sich direkt in die Erinnerung brennt.
Die Geschichte
Ohne zu viel zu verraten – schließlich möchte ich euch die großen Plot-Twists nicht stehlen – sei gesagt: Die Welt von Expedition 33 lebt unter der düsteren Herrschaft der Paintress, die jedes Jahr eine Zahl auf ihren Monolith pinselt. Diese Zahl markiert das neue Todesalter. Wer älter ist, wird zu Staub. Dieses Jahr ist es 33. Und dieses Jahr ist es genug. Eine Gruppe aus ungleichen Persönlichkeiten macht sich auf den Weg, das System zu beenden – für immer.
Es geht um Verlust, Erinnerung, Aufopferung – aber auch um Hoffnung. Die Dialoge sind poetisch, das Worldbuilding stilvoll zurückhaltend, aber effektiv. Schon in den ersten Spielstunden schwingen tiefere Themen mit, die sich wie dunkle Farbtöne durch das Bild ziehen.
Das Gameplay
Was auf den ersten Blick wie ein traditionelles, rundenbasiertes Kampfsystem wirkt, zeigt schnell seine Raffinesse: Perfekte Eingaben (Timing!), Parieren, Ausweichen – alles im richtigen Moment. Es erinnert fast an Mario RPG trifft Final Fantasy VIII, aber mit dem Kinogefühl eines NieR: Automata. Jeder Charakter bringt seinen eigenen Mechanismus mit: Stances, Overcharge, Foretell – und wer denkt, das sei alles, hat noch nicht die Gradient Attacks freigeschaltet.
Im späteren Spielverlauf kommen optionale Superbosse, Puzzle-artige Gegner und freischaltbare Traversal-Mechaniken hinzu. Es lohnt sich, seine Truppe sorgfältig aufzubauen und verschiedene Builds auszuprobieren – besonders da die Pictos und Lumina-Skills flexible Kombinationsmöglichkeiten bieten.
Technische Umsetzung auf dem Steam Deck
Expedition 33 ist wie gemacht für das Steam Deck – fast. Während ich in vielen Szenen stabile 30 FPS hatte, gab es gelegentlich kleinere Dips in grafikintensiven Abschnitten. Die Steuerung war direkt, das UI angenehm lesbar und das Spiel ließ sich wunderbar unterwegs spielen. Einen fetten Pluspunkt gibt’s für die umfangreichen Accessibility-Optionen und die verschiedenen Schwierigkeitsgrade: Wer nur die Story erleben will, kann das tun – wer ein „No Hit Run“ anstrebt… viel Erfolg.
Der angekündigte Day-One-Patch soll laut Review Guide noch einige Lokalisierungs- und Lip-Sync-Probleme beheben. Ich hatte zwar keine gravierenden Bugs, aber hier und da noch leichte Unschärfen im Feinschliff.
Der Sprechercast
Wow. Es ist selten, dass ein Indie-RPG mit einem derart prominenten Cast aufwartet – und noch seltener, dass dieser Cast auch wirklich überzeugt. Charlie Cox als Gustave ist der ruhige Fels in der Brandung, während Jennifer English (Baldur’s Gate III) als Maelle besonders in emotionalen Momenten glänzt. Dazu gesellen sich Schwergewichte wie Andy Serkis und Shala Nyx, die das Ganze fast schon wie ein Hörspiel erscheinen lassen.
Wer will, kann auch die französische Tonspur wählen – mit Profis wie Alexandre Gillet oder Adeline Chetail eine ebenso empfehlenswerte Alternative.
Noch etwas?
Ja: Das Spiel ist wunderschön. Jeder neue Abschnitt fühlt sich wie ein lebendiges Gemälde an. Ob zerfallene Monumente, schwebende Bibliotheken oder der melancholische Camp-Screen – es hat Stil, es hat Seele. Der Soundtrack unterstützt das Ganze mit einer Mischung aus orchestraler Wehmut und leisen Momenten, die sich tief ins Ohr graben.
Außerdem ist das Spiel ein Liebesbrief an alle, die sich nach RPGs sehnen, die nicht nur kämpfen, sondern auch fühlen lassen. Und wer gerne auf Entdeckungstour geht, wird im späten Spielverlauf mit über 30 Stunden optionalem Content belohnt – darunter sogar ein fliegendes Fort!