Was weiß man nebst der popkulturellen Erzählungen über die Riten und Kultur Mexikos? Erschreckend wenig, wenn man mal darüber nachdenkt. Dass die jahrtausendealte Kultur viel zu bieten hat, beweisen die Autorin Angélica Freitas und Zeichner Odyr in ihrem Werk „Guadalupe & Minerva – Der Trip nach Oaxaca“. Zwischen Familiengeschichte und psychodelischem Trip in die Kulturgeschichte Mexikos bietet dieser Comic einiges. Dieser von Lea Hübner aus dem portugiesischen übersetzte One-Shot erscheint beim Berliner Verlag Parallelallee.
Lebensentscheidungen
Guadalupe wird 30 und ihr Lebensweg scheint sich nicht einer klaren Entscheidung fügen zu wollen. Ihre genügsame Art und das dichte soziale Netz zu ihrer Verwandtschaft macht es nicht zwingend leichter die Emanzipation zu durchführen. Während sie sich durch Mexiko-Stadt fährt, rast ihre Großmutter auf ihrem Roller zwischen den Autos hindurch. Eine Konfrontation ihrer Oma Elvira bezüglich der davon ausgehenden Gefahr mündet in einem Gespräch über den Ort ihres womöglich bald anstehenden Begräbnis. Sie möchte zurück an ihren Heimatort Oaxaca gebracht werden, um sich dort mit ihrer Heimat erneut zu verbinden. Da Elvira in bester Gesundheit scheint, sieht Guadalupe jedoch noch keinen Grund darin sich damit ausgiebig zu beschäftigen.
In einem Moment der Nostalgie erinnert Guadalupe sich an ihre Kindheit, wie sie ihren Onkel zu Drag-Shows begleitete. Jene retrospektiv geschilderten Erlebnisse zeigen auf schlichte, wenn auch effektive Weise, die gesellschaftlichen Normen im Bezug auf heteronormative Werte. Der Onkel Minerva ist dieser Tage Besitzerin eines gut laufenden Buchladens, für den Guadalupe die Lieferungen ausfährt. Die Geburtstagsparty kann kommen, doch wird die Feierlichkeit vom plötzlichen Tod Elviras überschattet. Sie hatte einen Unfall mit ihrem Roller.
Eine wilde Reise ins Herz Mexikos
Mit dem Tod Elivras tritt ein Handlanger des Gottes Xyzotlán, der Herrscher über die Seelen, auf den Plan. Der Tempel solle geräumt werden, da niemand mehr an die aztekischen Götter glaubte. Erzürnt schickt Xylotlán seinen Schergen aus, um ihm eine frische Seele zu bringen, die der Elvira. Also jagt der Handlanger der kürzlich verstorbenen Elvira und somit auch Guadalupe und Minerva nach.
Ihr Körper soll nun mit einer „Expresslieferung“ der Buchhandlung Minerva nach Oaxaca gebracht werden. Minerva lässt ihre Nichte jedoch nicht allein fahren und so beginnen sie ihren Road-Trip in den Süden Mexikos. Auf ihrer Reise lernt Guadalupe von der verworrenen und nicht ganz einfachen Vergangenheit ihrer verstorbenen Großmutter. Sie hatte nicht das Privileg in einer für „Andersartigkeit“ offenen Gesellschaft groß zu werden. Minerva berichtet ihrer Nichte vom Leiden und Leben ihrer Großmutter auf dem Land und führt sie ganz nebenbei in die Wirkung und Funktionsweise von psychoaktiven Pilzen. Allein die Erzählung jener seit tausenden Jahren von Schamanen tradierte Art des Rauschs lässt Guadalupe in Fantasien schwelgen.
Es geschieht also mehr als einmal, dass die Geschichte von einem Comic im Comic unterbrochen wird. Darin werden jeweils andere Figuren die Protagonistinnen sein, jedoch ist sie mit der voranschreitenden Handlung verwoben. Wann, ob und in welchem Zustand Guadalupe den Leichnam ihrer Großmutter nach Oaxaca bringen kann und welche Erkenntnisse sie auf dem Weg machen wird, soll an dieser Stell unerwähnt bleiben.
Kräftige und expressive Bilder
Wie man dem Cover bereits entnehmen kann, zeichnet sich der Stil Odyrs in diesem Werk durch kräftige Outlines und eine in Details reduzierte Szenerie aus. Der ganz in schwarz-weiß gehaltene Comic bricht gelegentlich mit der Panelstruktur und nutzt Anspielungen und Humor in dessen Bildkomposition. Eine Feinheit in den Bildern und den Figuren kann sich allein wegen der dicken und schweren schwarzen Linien kaum einstellen. Eben deshalb erinnert so manches Bild an Cartoons oder Comic-Strips, die mit großer Mimik und wenigen Linien das zu Erzählende auszudrücken wissen. Trotz dieser minimalistischen Ausdrucksform gelingt es Odyr den von Angélica Freitas erdachten Figuren eine Lebendigkeit auf den Leib zu zeichnen.
Solch Ausschweifungen wie die Comics im Comic bieten außerdem zahlreiche Möglichkeiten aus der Stilistik herauszubrechen, auch wenn sie nicht ganz verlassen wird. Jedoch zeigt Odyr darin auch einige andere Designs und auch eine andere Formsprache, als im Rest des Werks.