Der Comic „Der magische Fisch“ richtet sich, wie das Programm des Imprints Crocu des Ludwigsburger Verlags Cross Cult, ganz explizit an ein jugendliches Publikum. Das von Trung Le Nguyen verfasste und gezeichnete Coming-of-Age Drama befasst sich mit Themen wie der Identitätskrise von Kindern von Migranten. Außerdem behandelt diese Geschichte das „Coming-Out“ einer nicht heteronormativen Sexualität vor den eigenen Eltern. Dies wird eingeleitet und die Themen wie Liebe werden durch die Welt Märchen und Sagen aus Vietnam erzählt. Alle dieser scheinbar komplexen Themen beschreibt das Werk als extrem relevant und schwerwiegend, jedoch nicht über die Erweckung von Mitleid, eher dem Mitgefühl.
Von Prinzessinnen und Fischen
Der Junge Tiên und seine Mutter teilen sich regelmäßig die Welt der geschriebenen Worte. Er liest ihr etwas vor während sie den Haushalt organisiert oder einfach gemeinsam auf der Couch sitzen. Ein großer Teil ihrer Dialoge wird auf Vietnamesisch gehalten. Dies ist einmal zu Beginn als Fußnote zu lesen und die folgenden Dialoge sind immer mit „<„ und „>“ gekennzeichnet. Der Wechsel der Sprache ihrer kulturellen Heimat und immer noch lebenden Verwandten zur Landessprache der USA ist eine in sich spannende Angelegenheit. Je nach Thema und Anlass wechseln Tiên und seine Mutter fließend zwischen den Sprachen.
Jedenfalls erleben sie gemeinsam eine kulturelle und fantasievolle Reise in die Welten alter Sagen, Mythen und Märchen aus Vietnam. Im Laufe dieser Geschichten, die natürlich mehr sind, als die reine Reproduktion von Kulturgütern innerhalb dieses Werks, verdeutlicht sich, dass Tiêns Mutter in Sorge ist. Sie denkt an ihre Heimat, die Flucht, ihre kranke Mutter und daran, dass sie es nie ermöglichen konnte Besuch von ihr zu erhalten. So sind also auch die Märchen jene Geschichten, die von der Suche nach Heimat, der Liebe zu Freunden und dem Leben handeln.
Ein Bruch
In der alten Heimat seiner Eltern leben noch die Großeltern des Protagonisten Tiên. Er selber hatte sie nie besucht und seine Mutter, die sie seit ihrer Flucht aus dem vom Krieg zerstörten Land, nur selten sah, muss nun schnell an den Ort ihrer eigenen Geschichte zurück. Es erreicht sie die Nachricht, dass ihre Mutter verstarb.
So mag man vermuten, dass der Comic nun mit der Form der Erzählung bricht. Doch weit gefehlt, denn in Vietnam wechselt nun die Mutter die Perspektive und wird ihrerseits mit den alten Märchen, also solch Klassikern wie Aschenputtel, bereichert. Jedes der hierin erzählten Märchen ist jedoch auf seine Art grundunterschiedlich zum europäischen Kanon. Die darin zu findende Gewalt ist anders und doch meist nicht weniger grausam als es in Grimms Erzählungen zu lesen ist.
Die eigentliche Geschichte in „Der magische Fisch“, nämlich die des Coming-Outs Tiêns, spitzt sich zu und erfährt so manche sehr interessante Wendung. Der Schulpfarrer mischt sich ein, die Freunde, die ihn unterstützen darin sich seinen Eltern und dem Love-Interest zu offenbaren und die eigenen Zweifel des Protagonisten machen diese Geschichte zu einer wunderbar authentischen Erzählung. Immer wieder wechselt die Geschichte zwischen Märchen und Realität. Dabei ist dies wunderbar miteinander verzahnt.
Ein Märchen in drei Farben
Es fällt nicht schwer dieses gesamte Werk als ein Märchen zu beschreiben. Die quasi fantastische Katharsis des Protagonisten, die Schicksalsschläge, die Entwicklung und das Ende lassen diesen Schluss zu. Dabei nutzt Trung Le Nguyen einen sehr simplen Trick und um Fiktion und Realität voneinander abzugrenzen, die Kolorierung. Nguyen nutzt drei Farben, um die Märchen von der eigentlichen Geschichte zu trennen und belässt diese jedoch in einem monochromatischen Look. Es werden also unterschiedliche Sättigungen und Abstufungen von einem Pastellrosa, einem Pastellblau und einem Gelb genutzt, wobei das Blau für die Märchen und Gelb für die Vergangenheit in Vietnam steht. Jene farblichen Kontraste können auch auf einer Seite fließende Übergänge bilden, wenn sich die Vorlesenden in Kommentaren über das Märchen austauschen.
Die Zeichnungen allgemein wirken kindlich, weich, liebevoll und rund. Es entstehen nahezu keine geraden Linien, denn alles wirkt wie von der Hand aufs Papier gebracht. Bevor „Der magische Fisch“ überhaupt beginnt, steht in einem Kommentar des Künstlers, welche Materialien wofür verwendet wurden, also wie das Werk entstand. Diese Information und die traumhaften und verspielten Illustrationen geben diesem Werk den Eindruck eines Herzensprojekts. Etwas, das erzählt werden musste.