Die Leiche und das Sofa – eine ungewöhnliche Liebesgeschichte

25. Oktober 2025
2 Minuten Lesezeit
Die Leiche und das Sofa Cover

Es gibt diese Geschichten, wie „Die Leiche und das Sofa“, die einen verstören, verwirren und auf seltsame Art und Weise verzaubert zurücklassen. Solch eine ist diese Comic aus der Feder von Tony Sandoval, dessen Werke Seite einigen Jahren beim Ludwigsburger Verlag Cross Cult und dessen kindgerechtem Imprint Crocu, auf den deutschen Markt kommen.

Tony Sandoval hat zum ersten mal Aufsehen erregt als er mit „Doomboy“ beim Festival d’Angoulême, einem der größten Comicfestivals und und ältesten Wettbewerbe in Europa, teilnahm. Der gebürtige Mexikaner migrierte einige Jahre vorher nach Frankreich und arbeitete dort als Zeichner und Schreiber für französische Comicmagazine wie „Éditions Paquet“.

Mit „Die Leiche und das Sofa“ zeigt er erneut welche Themen sich als wiederholende Elemente in seinen Werken finden lassen. In seinen Werken spielt er mit Themen des Erwachsenwerdens, der Liebe, dem Grusel, dem Tod und der Vergänglichkeit. All das findet sich in diesem 95 Seiten starken Hardcover Comic.

Die Handlung

Copyright: Cross Cult

Polo ist ein zurückgezogener Junge im Teenageralter und lebt in einer ländlichen Gegend. Als er an einem tropfenden Wasserhahn auf einem Feld steht, nähert sich ihm ein fremdes Mädchen: Sophie. Diese äußerst direkte, unverblümte und charmante Unbekannte zieht Polo auf magische Weise an. Polo eröffnet dieses Werk mit der das Comic rahmenden Frage danach „[…], dass Makel die Dinge interessanter macht?“ (S. 5). Diesbezüglich liefert Sophie ihm die Belege für diese Behauptung, denn sie setzt ihm das Mysterium eines Werwolfs in der Gegend in den Kopf, scheint selber aus unklaren Hintergründen und sei aus einer nebulösen Familiensituation in diese Stadt gezogen zu sein. Kurzum: Sophie ist eine Mysterium in sich. Sie zieht Polo in den Bann und lässt jedoch genügend subversive Fragen offen, um sich ihr auf einer weiteren Ebene kritisch zu nähern.

Die (gefundene) Leiche und das Sofa

Nach ihrem ersten gemeinsamen Abend auf dem Sofa, das für den Namen dieses Comics verantwortlich ist, verbringen, geht Polo nach Hause und stolpert über eine Leiche. Es ist die Leiche des vermissten Christian, einem seiner Klassenkameraden. Da gerade Sommerferien sind und Polo niemandem außer Sophie davon erzählt, teilen sie dieses gemeinsame Geheimnis. Sie ziehen das Sofa, das ganz offensichtlich auch kurz vorher jemand anderes gehört haben muss, aus der Wohnung und stellen es in die Nähe der Leiche Christians. Dort sitzen sie, knutschen, lieben sich und das im Beisein des verstorbenen Christians. Sie sind die Leiche in diesem Moment, etwas Verfallendes, etwas Vergehendes, etwas bereits totes, dass nur noch dem Leben ähnlich sieht.

Ihre Beziehung zueinander ist von einer starken Körperlichkeit und einer wiederkehrenden Mystik um Werwölfe und Monster geprägt. Sie leben ganz füreinander und doch sind sie auf unerklärliche Weise zueinander entfernt. Als dann mit der die Handlung alles verändernden Wendung eine weltliche Erklärung für all das gefunden wird, erinnert man sich wieder an den Satz zu Beginn. Sandoval endet damit und rundet so auch dieses bleibende Gefühl ab, „dass Makel die Dinge interessanter macht“.

Copyright: Cross Cult

Der Stil

Wie auch das Cover zeigt dieser Comic warme, weiche Töne, dynamische Hintergründe, die auch wie die Figuren, nicht zwingend darauf bedacht sind „schön“ zu sein. Häufig finden sich entstellte Gesichter, schaurig, explizite Darstellungen von Tod und ähnlichen Aspekten. Auch ist die teilweise Nacktheit Sophies nichts, dessen sich verschlossen wird. Viel mehr nutzt Sandoval die Situationen, um in dem Protagonisten Polo und den Leser*innen eine ganz klare emotionale und animalische Komponente zu erzeugen. Immer bricht Sandoval diesen weichen, ja fast puppenhaften Stil, der voller gelblich-brauner und warmer Töne des Sommers ist, mit harten monochromen Szenen, die in Schattierungen von Blau gehalten sind. Diese visuellen Kontraste lassen die erzählte Ebene und das Erleben der Figur Polo in einem anderen Kontext erscheinen und eröffnen Ebenen der Interpretation über Wahrheitsgehalt, Fantasie und Realität.

Es ist überraschend wie häufig es Sandoval gelingt Kontraste härtester Natur aufeinander zu werfen. Gerade noch sieht man Sophie, wie sie liebenswürdig, niedlich und schön gezeichnet in idealem Licht in einem Sommerkleid Polo begegnet. Kurz darauf folgen Darstellungen von verzerrten Gesichtern, entstellten Grimassen, brennenden Dämonen und abstoßenden Szenen. Gerade die Balance daraus macht dieses Werk zu einem sehr interessanten, das in seiner gesamten Wirkung einen Nachgeschmack hinterlässt.

Die Leiche und das Sofa Cover
Überraschend und eigenartig
„Die Leiche und das Sofa“ ist ein visuell forderndes und erzählerisch mystifiziertes Werk. Die Ambivalenz der Handlung trifft auf direkte und ungefilterte Darstellungen, ein Wellenbrecher der Erwartungen also. Es erscheint eine Liebesgeschichte, eine Jugendliebe, ein Mysterium, ein Toter, eine Suche nach dem Ungewissen und es bleibt davon nur das Gefühl, dass der größte Teil heißer gekocht, als gegessen wird. Der Comic verträumt sich in der mystischen Stimmung und kann wegen seiner Kurzlebigkeit von nur knapp 100 Seiten nicht in Tiefen vordringen, die die Figuren vielleicht verdienten. Es gelingt dennoch Figuren zu erzählen, die überzeugend sind und in ihren Motiven mehr sind als Handlungsträger. „Die Leiche und das Sofa“ ist ein spannender, ganz andersartiger Comic irgendwo zwischen subversiv und sehr explizit, ganz so wie die Liebe selbst.
Pro
Zeichnungen tragen perfekt die Atmosphäre
spannende, fasettenreiche Handlung und Figuren
Kontra
überraschend explizite und verstörende Visualität
8
Lars Hünerfürst

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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