Gen X und der Traum von Amerika – Woher und wieso?

29. November 2022
4 Minuten Lesezeit

Diese Frage kam mir auf, als wir im Jahr 2021 unseren Umzug nach Washington D.C. angekündigt haben. Viele Kommentare, besonders aus der Altersklasse Gen-X, lauteten „Ihr macht alles richtig“ oder „Das Beste, was man machen kann“ oder so ähnlich. Die Botschaft war immer gleich, USA ist besser als Deutschland. Zu dieser Zeit gab es noch keine Restriktionen wegen des Krieges in Europa, die Preise für Lebensmittel, Benzin und Gas waren noch „normal“. Daher die Frage, warum denken bestimmte Generationen, dass das Gras auf der anderen Seite grüner ist? War es das früher vielleicht auch? Gaukeln uns Filme das vor? Und wo ist es letztendlich besser zu leben?

Was ist Gen-X eigentlich?

Wer es noch nicht mitbekommen hat oder wem es bisher egal war, die Begriffe zu definieren, hier eine kurze Erläuterung. Gen-X beschreibt die Generationen, die zwischen 1960 und 1985 geboren sind. Also für jemanden wie mich, ein Millenial, geboren 1990, die Generation Eltern oder die Eltern der 90er-Kids. Ich kann natürlich nicht alle über einen Kamm scheren und behaupten, alle Gen-X haben die gleiche Sicht der Dinge. Es ist aber eben so, dass die Kommentare diesbezüglich ausschließlich aus unserem Bekanntschaftskreis kommt, die in diese Generationsgruppe fällt. Gen-X ist also die Generation, die den Mauerfall bewusst erlebt hat, die die größten technischen Entwicklungen unserer Zeit erlebt hat, den Umstieg der Währung von Mark zu Euro, einen politischen Schubs von konservativ zu liberal usw.

Besonders die Filmindustrie hat sich stark entwickelt, ein amerikanischer Kassenschlager nach dem anderen hat die Kinosäle gefüllt. Kommt daher das Bild des perfekten Amerikas? Man stelle sich mal vor, und damit meine ich eher meine Generation, grade den Mauerfall erlebt zu haben, besonders als Bewohner des Ostens, und plötzlich die ganze Welt vor sich aufgedeckt zu haben, mitten in den 90ern, jung, das Leben noch vor sich.

Reglementierungswut

Bild von Christian Schnettelker auf www.manoftaste.de

Um nicht nur Vermutungen aufzustellen habe ich mal nachgefragt in der Generation X. Was hat Amerika, was Deutschland nicht hat? Oder was stört an Deutschland? Hauptkriterium und ein perfekt beschreibender Begriff ist die Reglementierungswut. Es gibt für Alles eine Regelung, sei es wie lang das Band am Teebeutel sein darf, wie viel Vorgarten ich zwischen Zaun und Haus haben muss oder ob der neue Lenker am Motorrad zum Nummernschild passt. Für all das gibt es Normen und Einrichtungen, die das Gesagte überprüfen. Sicherlich gibt es für vieles eine Berechtigung, einiges aber scheint in anderen Ländern auch ohne Reglementierung zu funktionieren.

Ich kann den Frust über diese extremen Reglementierungen absolut nachvollziehen. Viele Leute hatten sicherlich ihre Begegnung damit, sei es beim Küchenkauf, Hausbau oder Anbau oder gar in der Schule, welche Hefte und DIN Blätter benutzt werden dürfen. Ich kann mittlerweile aber auch vom Gegenteil berichten. Es gibt in den USA genug Bereiche, die dringend Überwachung brauchen. Angefangen bei dem Thema Autos, es gibt hier keinen TÜV, Versicherungen sind freiwillig, man kauft also die Katze im Sack wenn man nach Gebrauchtwagen sucht. Wie oft ist mir schon ein Auto mit einem platten Reifen entgegen gekommen? Es ist halt einfacher und billiger sich einen neuen Reifen selbst zu besorgen als es in einer Werkstatt zu erledigen. Ein anderer, für mich sehr wichtiger Sektor, ist die Lebensmittelindustrie. Es gibt zwar eine Einrichtung namens Food and Drug Administration (FDA), welche das Gesundheitswesen schützen soll, trotzdem zeigt sich anhand vieler zugelassenen Stoffe in den Lebensmitteln auf dem amerikanischen Markt, das es sich immernoch um Buisness handelt. Das beste Beispiel für mich ist High Fructose Corn Syrup. Ein Sirup, hergestellt aus Mais, welcher hier in den USA in fast jedem Lebensmittel zu finden ist, während er in der EU teilweise verboten ist oder der Gebrauch auf eine starkes Minimum reduziert ist. Wenn man mit einem gewissen Bewusstsein für Ernährung in die USA kommt und nicht alles Geld der Welt hat um in Biomärkten zu shoppen, ist es wirklich schwer, Produkte zu finden, die nicht zugesetzten Zucker in welcher Form auch immer haben. Kein Wunder, dass Amerika eines der Top Diabetes-Länder überhaupt ist.

Verwirklichung

Im Umkehrschluss kann man also sagen, die fehlende Reglementierung mag zwar seine Macken haben aber bietet in vielerlei Hinsicht auch eine gewisse Freiheit. Die Freiheit sich zu verwirklichen. Das war zumindest eine der Antworten, die ich auf meine Frage erhalten habe. Aber was heißt es, sich zu verwirklichen? Viel Input, was in Amerika alles möglich ist, kommt aus dem TV. Die meisten Serien heutzutage kommen nunmal aus Amerika. Sei es eine Backshow, Aquariumbauer oder Storage-Versteigerung. Aber was hat das mit Verwirklichung zu tun? Da wären wir wieder bei dem Beispiel TÜV. Das Beispiel Fortbewegungsmittel passt hier wieder ganz gut. Komplett getönte Autoscheiben, Motorräder ohne Geschwindigkeitsbegrenzer und laut wie man möchte oder gar aus Spaß ein Auto, was so umgebaut wurde, dass es so aussieht als fahre es rückwärts, alles erlaubt! Was auch dazu gehört, ist die Freiheit, sich um seine Zukunft selbst zu sorgen. Sozialversicherungen werden hier nicht gezahlt, um Rente muss man sich selbst kümmern, arbeitslos heißt gleichzeitig ohne Einkommen und eine Agentur für Arbeit gibt es auch nicht. Aber, das Geld, was wir fröhlich zahlen, um uns abzusichern für mögliche Fälle wie Unfälle, Pflegefälle und Arbeitslosigkeit, könnte natürlich anders genutzt werden. Zum Beispiel um sich zu verwirklichen, wie auch immer das aussehen mag.

Nationalstolz

Photo by Joshua Hoehne on Unsplash

Zu aller letzt darf das Thema Nationalstolz natürlich nicht fehlen. Ein schwieriges Thema, keine Frage, aber doch interessant zu sehen, wie unterschiedlich es doch sein kann. Als Träger eines deutschen Passes gibt es sowas wie Nationalstolz nicht wirklich. Man ist nicht stolz, wie das Land aufgebaut wurde, während in Amerika genau das groß gefeiert wird. Dass in der Geschichte eben auch Versklavung und Vertreibung von Kulturen stattgefunden haben, ist nicht als etwas schlechtes gesehen sondern einfach eben die Geschichte und damit ein Teil von dem, was es heute ist. Und darauf ist man eben stolz. Das zeigt sich dann auch in verschiedenen Feiertagen wie Thanksgiving und Independence Day. Die Flaggen werden geschwungen, Paraden werden gemacht, das ganze Land feiert und beendet den Tag mit einem Feuerwerk. Besonders für die älteren Generationen ist es scheinbar etwas schwerer einen gewissen Stolz zu tragen, deutsch zu sein. Vielleicht kann dieses Unwohlsein mit der Zeit vergessen werden, vielleicht kann Deutschland mit etwas anderem stark genug glänzen um diese dunklen Zeiten in den Hintergrund zu rücken und eben nicht das erste sein, was einem zur deutschen Geschichte in den Sinn kommt. Damit meine ich selbstverständlich nicht, die Geschichte zu vergessen, aber eben nicht nur das Land zu sein, was für den 2. Weltkrieg und allen damit verbundenen Taten verantwortlich ist.

Am Ende bleibt es doch dabei, dass das Essen beim Nachbarn immer besser aussieht wie man so schön sagt und dabei wird es auch bleiben. Immerhin gibt es genug Amerikaner, die alles dafür geben würden in einem Land wie Deutschland zu leben. Es hat halt jedes Land seine Vor- und Nachteile, eine Heimat aber gibt es nur einmal.

Annegret Hünerfürst

Geboren in der selben Woche, in der die erste Website online kam - gelernte Diätassistentin und Mutter von zwei Kindern

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Über Hünerfürst.de

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