Die Erde steht vor dem Aus, die Ressourcen sind knapp und die Natur ächzt unter der Last der Überbevölkerung. Was würde passieren, wenn sich die Erde nun rächen könnte? Wäre es ein gerechtes Urteil, gar nachsichtig mit der Zivilisation?
Diesen spannenden Fragen geht der japanische Künstler Eldo Yoshimizu nach. In seinem visuell grandios gestalteten Werk „Hen Kai Pan“ tritt die Natur in Aktion und rechnet mit der Menschheit ab. Der Titel „Hen Kai Pan“ stammt aus dem Kosmotheismus – eine religiöse Lehre, in der die Erde als zentrale und schöpfende Kraft angesehen wird – und bedeutet „Ein und Alles“. Ein Werk, das vor und wegen der Corona-Pandemie seine Kreation fand.
Man hat immer eine Entscheidung
Ein friedliches Stück Natur eröffnet die Geschichte. Leider hält der Frieden nicht lang, denn Asura, eine Gehilfin eines Erdgottes, ist im Begriff, Brandbomben in den Dschungel zu werfen. Asura (hinduistische Gottheit, übersetzt als „Halbgott“ oder „Titan“) ist jung und naiv. Sie folgt ihrer Herrin bedingungslos und ohne kritische Fragen zu stellen. Der Plan der Göttin Nila (übersetzt „blau“ oder „Mond“) bedingt die Zerstörung von Lebensraum, um die Menschheit vorzeitig auszulöschen. Dabei jedoch geraten auch viele andere Wesen in das Flammenmeer und verenden elend. Wäre da nicht der Erdgott Ombiasa (übersetzt „Heiler“), mit dessen Hilfe sie die Stimme der Bäume hört. Plötzlich regnet es sturzartig und ihre kriegerischen Akte werden gelöscht.
Schon bei ihrer nächsten Mission wird es brandgefährlich. Dieses Mal soll sie mithilfe der ihr verliehenen Kräfte ein atomares U-Boot unter dem arktischen Eis sprengen. Dies würde zu katastrophalen klimatischen Ausmaßen führen. Im letzten Moment schreitet der Erdgott Xu Fu (Anlehnung an den Zauberer der japanischen Mythologie) ein und verhindert Schlimmes. Ebenso wird Asura dadurch vom gedankenkontrollierenden Bann ihrer Herrin gelöst. Ihr wird nun die Macht der Entscheidung zuteil, die im Verlauf der Geschichte von großer Bedeutung werden soll. Gemeinsam gehen die zwei auf die Suche nach einer vierten Gottheit namens Honga (native American für „Erdmenschen“), die sie in der Wüste Amerikas finden.
Dass die Götter noch einschreiten und die Apokalypse verhindern, schafft vorerst nur Aufschub. „Das letzte Urteil“ steht bevor und die Menschheit, ja, die ganze Welt wird vom Tribunal der Erdgötter gerichtet. Unter der Leitung der Ältesten Pemaju (indonesisch für „Entwickler“) soll dieses Urteil jedoch gerecht und nicht vorzeitig auf einzelne Lebewesen ausgeübt werden. Es soll den gesamten Planeten gleichzeitig treffen. Doch was ist gerecht? Welches Motiv ist nun gerechtfertigter als das andere? Gibt es so etwas überhaupt wie das gerechte Urteil, das alle Menschen gleichermaßen bestraft?
Visuelle Höchstleistung
Sollte diese Synopsis der Handlung noch nicht genügen, um Neugier zu erzeugen, so werden letztlich die Bilder überzeugen. Eldo Yoshimizus Zeichnungen sind schwer, atmosphärisch, strotzen vor natürlicher Kraft und können selbst das Sphärische und Spirituelle in kunstvoller Leichtigkeit einfangen. Die Szenerien der jeweiligen Schauplätze und gleichzeitig symbolischen Begegnungsorte der Erdgötter strahlen eine greifbare Natürlichkeit und Detailverliebtheit aus, die man nur selten zu Gesicht bekommt.
Jede Figur, jedes Tier und selbst die astralen Wesen zeichnen sich durch einzigartige Charakterdesigns aus. Dabei sticht die Protagonistin Asura heraus, erzählerisch und visuell. Der eigentlich im Bereich Bildhauerei ausgebildete und renommierte Künstler Yoshimizu vereinnahmt mit seinen Bildern. Es scheint ihm ein Leichtes, Figuren und Umgebung miteinander verschmelzen und interagieren zu lassen. Die allgemeine Stimmung, die sich vermerken lässt, ist düsterer Natur. Schwere Schatten, Blicke ins All und ein schicksalhaftes Urteil für die Menschheit sind nur einige Beispiele dafür. Teilweise sind die Darstellungen der jeweiligen Stellvertreter einer geografischen Region klischeehaft, plakativ. Allerdings bündeln diese Figuren so auch einen gewissen stereotypen Archetypus eines Kulturkreises, ohne sich selber diesem allzu sehr zu unterwerfen. Schließlich sind sie alle fähig, ihre Form zu wandeln und passen sich nur ihrer Umgebung an. Die Anspielungen zur dreigesichtigen Shiva sind nicht ganz zufällig, auch wenn Asura eine gegensätzliche, eine rettende Rolle einnimmt.