Liv Strömquist hat mit ihren bisherigen Werken immer einen gehörig gesalzenen Finger in klaffende Wunden gelegt. Die schwedische Politikwissenschaftlerin widmete sich bisher feministischen, sozialkritischen, philosophischen und auch teils historischen Thematiken. So auch wieder in diesem neuen Graphic Novel-Essay namens „Im Spiegelsaal“, erschienen im Berliner Avant-Verlag.
Die Themen
Der Titel und das Cover zeigen bereits eindeutig, was sich Strömquist in diesem Comic als Objekt der Analyse und des spitzen Kommentars zugrunde gelegt hat. Es geht um die gesellschaftliche Besessenheit vom Äußerlichen, dem Selbstoptimierungsgedanken und zu guter Letzt auch darum, warum es wichtig ist, sterblich zu sein.
Wie in „Ich fühl’s nicht“ und „Der Ursprung der Liebe“ wird von der scharfzüngigen und mit scharfer analytischer Schneide operierenden Schwedin das Thema durch eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens eingeleitet. In diesem Fall sind es Instagram-Influencer, deren Gemeinsamkeit die ausschließlich gefilterte und visuelle Vermarktung ihres Körpers sei. Gefiltert hierin meint den Fotofilter und die Auswahl der veröffentlichten Motive zugleich. Es werden einige Theorien von Strömquist aufgestellt, die wie immer in ihren Comics von Philosoph:innen gestützt werden. Ihre Argumentation schlüssig stützend, baut sie diese Zitate spielerisch in ihre oftmals witzig provokanten Panels ein.
Konsequent geht die Autorin der Frage nach, wie „Schönheit“ sich zu dem entwickelte, was es heute ist. Es treten einige prominente Vertreterinnen auf, die die Geschichte der letzten Jahrhunderte diesbezüglich maßgebend beeinflusst haben. Die Kaiserin Sisi, welche ebensolchen Einfluss auf das Bild von Schönheit hatte, wird im weiteren Verlauf dieses Comics noch ein eigenes Kapitel und traurige Wendung erwarten.
Daraus fortgesponnen, beschäftigt sich dieser Comic mit dem Phänomen „Fotografie“ und seinen gesamtgesellschaftlichen Folgen. Die sich daraus Stück für Stück entwickelte Lebensweise, die Selbstwahrnehmung und der Pervertierung des Schönheitsbegriffs durch die alles kapitalisierenden sozialen Medien behandelt sie eindrucksvoll in einem eigenen Kapitel.
Im Weiteren befasst sich Strömquist, gestützt durch Interviews mit Frauen im Alter zwischen 53 und 73, mit der Vergänglichkeit von „Schönheit“ und dem sich verändernden Begriff. Darin werden unterschiedliche Wege der Selbsterkenntnis und der ganzheitlichen Erfüllung, ganz ohne sich durch Äußerlichkeiten zu definieren, aufgezeigt und charmant illustriert.
Der Stil
Liv Strömquist hat ihren Karikatur ähnlichen, teils skurrilen Zeichenstil in diesem Werk koloriert. Zu großem Teil ihrer essayistischen Werke gleicht die Illustration der des Scherenschnitts und Karikaturen. „Im Spiegelsaal“ ist von Anfang bis Ende quietschig bunt. Im Kontext des zu erörternden Begriffs Schönheit auch naheliegend. Farbig illustrierte Bilder sind dem menschlichen Auge schlichtweg angenehmer und dieser Thematik daher auch angepasster.
Die Künstlerin illustriert Monologe der zu Wort kommenden Philosoph:innen ebenso frontal und mit Blick den Leser:innen entgegen, wie sie ihre fiktiven Figuren einen des Öfteren direkt adressieren lässt. Die überzeichneten Darstellungen der Instagram-Influencer:innen bringen an sich bereits einen sehr unterhaltsamen und charmanten Witz mit sich. Mehrere Male zündet der Humor sehr gut. Die in Bild und Text komplementären Pointen funktionieren immer an den richtigen Stellen und geben dem Lesevergnügen eine ganz besonders positive Stimmung.