In „Marvel Must-Have: Marvel 1602“ versuchte sich der für „Sandman“ berühmt gewordene Autor Neil Gaiman an einer Alternativwelt. Die von Andy Kubert gezeichnete und von Richard Isanove kolorierte Geschichte bietet eine künstlerisch interessante Umsetzung. In den Jahren 2003 bis 2004 erschien diese achtteilige Mini-Serie und erhielt mit diesem Hardcovereinband bei Panini unter dem „Marvel Must-Have“ erneut Würdigung. Ob diese Mini-Serie die Aufmerksamkeit verdient oder ob sie ein ausschließlich von historischen Referenzen und visueller Fantasterei getränkter Comic bleibt, soll nun umrissen werden.
Der historische Kontext
Um die Jahrhundertwende herrschte in Europa eine Stimmung der Umwälzungen. Der die politischen und sozialen Verhältnisse auf drastische Art und Weise verändernde 30 jährige Krieg stand kurz bevor. Auf dem Weg dorthin kämpften die herrschenden Häuser Europas um die Vormachtstellung auf dem europäischen Kontinent, sowohl in Übersee also der neuen Welt „America“. Die Verbindung dieser historischen Grundlage mit dem Marvel-Kanon erscheint in dieser Ausgabe als sinnvoll, wenn auch nicht zwingend notwendig. Der christliche Fundamentalismus und die daraus resultierenden Häresie und Inquisitionsverfahren, die zu Diffamierung und Inhaftierung vieler Kirchenkritiker führte, ist die Prämisse dieser Geschichte. Die in der Öffentlichkeit dieser alternativen Weltgeschichte als „Feinde“ der Kirche betrachteten Menschen sind die Superhelden.
Sie werden verfolgt, inhaftiert und gefoltert, um weitere Superhelden durch die herausgefolterten Informationen zu lokalisieren. So verwundert es nicht, dass die X-Men in dieser Welt ebenso eine geschlossene Gesellschaft bilden, die unter der Leitung des Carlos Javier als geheime Einsatztruppe fungieren. Ebenso an Bord dieses bunten Potpourris sind Helden wie Spider-Man, der in dieser Geschichte Peter Parquagh heißt, Sir Nicholas Fury, der Mager Doctor Stephen Strange, der Daredevil alias Matthew Murdoch, Otto van Doom, Norman Osborne und viele weitere kleinere und größere Helden.
Es gelingt Neil Gaiman die Essenzen dieser Figuren zu erfassen und sie sinnvoll in diese Alternativwelt einzuweben. So ist Peter Parquagh ein stets an Spinnentieren interessierter und neugieriger, anfänglich unbeholfener Assistent des Sir Nicholas Fury. Otto van Dooms Erfindergeist, die intriganten Pläne zur Machtergreifung und der Hang zum mystischen wird in dieser Welt aufgegriffen, um seine Spiele mit den Königen und Königinnen und deren Aberglaube und Mystizismus zu spielen.
Die Handlung von „Marvel 1602“
Die Geschichte des Marvel Must-Have: Marvel 1602 basiert auf der Prämisse von Ausgrenzung und Machtstreben. So plant der real existiert habende schottische König James IV, später James I als König von England, Irland und Schottland bekannt, die zu Beginn herrschende Elisabeth I durch eine Intrige vom Thron zu stoßen. Dies soll mit Hilfe des spanischen Inquisitor geschehen, der eine durchdringende Härte gegenüber den Dämonen (Mutanten) zeigt. Dass dieser Inquisitor seine eigenen Ziele hat, die nicht zwingend der herrschenden Aristokratie entsprechen, soll sich im weiteren Verlauf der Handlung verdeutlichen. Die Zusammenarbeit König James mit Otto van Doom und dessen verheißungsvoller Technologie führt somit zum frühzeitigen Ableben der Königin. Eine neue Zeit des religiösen Fanatismus bricht an.
Währen dieser politischen Intrige erfahren wir, dass die Formwandlerin Virgina Dare, die in Realität die erste in Amerika geborene Tochter englischer Kolonisten war, mittlerweile in England angekommen ist, um bei der Krone nach Geld für die Siedlung zu fragen. Ihr Begleiter Rohjaz ist ein dem Anschein nach Indigener des neuen Kontinents Nordamerika. Dessen blondes Haar kann jedoch für Verwirrung sorgen. Was soll es mit diesem eigenartigen Begleiter auf sich haben?
Denn eine Sache ist gewiss, etwas stimmt mit dieser Welt nicht. Ein unklares Ungleichgewicht herrscht in der Welt und das Auftreten der Superwesen ist 300 Jahre zu früh geschehen. So erklärt es uns zumindest der Beobachter Uatu, dessen Dialoge mit Dr. Strange ein wenig Aufschluss zu den Gegebenheiten dieser Alternativwelt bieten.