Als die nun im Rahmen von „Marvel Must-Have“ wiederveröffentlichte Geschichte initial das Licht der Welt erblickte, war vieler Menschen Perspektive voller Tristesse. Der Höhepunkt und Katharsis des Kampfes der Ideologien mündete schließlich im Fall des Eisernen Vorhangs. Doch woran glauben die Menschen nun, da die alte Welt zu zerbrechen droht? Welche Mentalität herrschte zu einer Zeit, als Ronald Reagan Präsident der USA war, sich die Satanic Panic im Land verbreitete und sich die Massen von „Zurück in die Zukunft“ berieseln ließen?
Diese Hardcoverausgabe „Marvel Must-Have: Silver Surfer – Parabel“ ist ein ganz besonderes Stück der Comichistorie. Zum ersten Mal schufen zwei Größen ihrer Zunft ein gemeinsames Werk. Stan Lee als Autor und Jean Giraud alias Moebius arbeiteten an dieser Geschichte des Silver Surfers, wie man ihn wohl nie vorher zu sehen bekam.
Dieses mit zahlreichen Hintergrundinformationen, Interviewschnippseln und einleitenden Worten des Autors selbst versehene Werk erhält man beim Panini Verlag.
Woran glaubst du?
Der Silver Surfer gilt als tot, denn man sah ihn schon lange nicht mehr am Horizont auf seinem silbern glänzenden Brett die Wolken schneiden. Doch lebte er nur unter den Menschen, als Außenseiter, Ignorierter und Herabgewürdigter, kurzum als Obdachloser inmitten einer Großstadt. Als dann eines Tages Galactus am Horizont auftaucht tritt er aus dem Schatten und stellt sich seinem Erschaffer. Die Menschen verfallen in Panik und es scheint so, als wäre der Untergang nah. Allerdings kommt Galactus nicht, um die Erde zu verspeisen, wie es vorher geschah. Er stellt den Erdbewohnern ein Leben ohne Sünden und Leiden in Aussicht. Die einzige Bedingung ist, dass man ihm wie einem Gott huldigen würde. Ob sich dies bewahrheiten wird, bleibt bis zum Ende spannend.
Prompt erhebt sich ein opportunistischer und fanatischer TV-Prediger zu seinem Missionar und verkündet in einer seiner Shows, dass er in einer Verbindung zu Galactus stehe. Da er nun seinen Willen predige und unter dem Segen des neuen Gottes stehe, erwartete dieser natürlich eine dementsprechende Position in der Gesellschaft. Lee und Moebius zeigen auf wenigen Seiten, wie zielgerichtete Missionierung und nahezu propagandistische Methoden Macht verleihen können. Hochrangige Politiker und andere Amtsträger suchen den Kontakt zum sich selbst ernannten Anführer des Galactus-Kults. Allerdings hegt dessen Schwester berechtigte Zweifel an der Methode ihres Bruders, sowie den Motiven und der Verlässlichkeit der Aussagen des Weltenfressers Galactus.
So folgen wir dem Aufstieg, den Zweifeln und dem Fall eines Mannes und seiner Schwester vor dem Hintergrund religiösen Fanatismus. Immer von der mahnenden Instanz des Silver Surfers begleitet. Diese Dualität zwischen den menschlichen Figuren, den Geschwistern und ihren bereits sehr unterschiedlichen Ansichten, und dem seit Ewigkeiten lebenden Silver Surfer machen dieses Werk zu einem sehr interessanten. Die kritischen (natürlich durch den Entstehungszeitraum beeinflussten) Gedanken darin werden teilweise verdeckt, manchmal sogar offen formuliert und visualisiert und hinterfragen viele bis heute relevante Konzepte einer Gesellschaft.
Stilechte Bilder
Wem Jean Girauds alias Moebius Werke bisher noch nicht aufgefallen sind, hat einen der größten Comic-Künstler des letzten Jahrhunderts verpasst. Außerdem werden bei der Betrachtung seiner Bilder sofort Assoziationen zu anderen medialen Erzeugnissen – seien es Graphic Novels wie „Simon vom Fluss“ oder Studio-Ghibli Filme der 80er Jahre – wachgerüttelt.
Die Ästhetik des Moebius besticht durch seine klare Formsprache, eine meisterhafte Raumaufteilung der Panels und Perspektiven, die die Leser:innen mit Distanz und Nähe immer auf dem vermeintlich richtigen Fuß treffen. Als ebenso charakteristisch für den Stil des Moebius muss man die kleinen Details nennen, die teilweise Funktionen von Schraffur übernehmen, manches Mal aber auch nur Tiefe erzeugen. In jedem Fall spürt man die Handarbeit dieses mit der „Stan Lee-Methode“ entstandenen Werks.
Diese Art und Weise zu zeichnen ist aus der Mode gekommen, zweifellos. Doch sollte man sich davon nicht abschrecken lassen, denn die für Moebius typischen Bilder und Farben wurden vom Zeichner Keith Pollard und den Koloristen Paul Mounts und John Wellington gemeinsam entworfen. So finden sich gelegentlich Panels, denen man ansieht, dass sie nicht aus Moebius Feder stammen. Dies schmälert den Gesamteindruck allerdings keineswegs. Im Anhang dieses Must-Have finden sich außerdem eine große Menge zusätzlicher Informationen zur Entstehung dieses Werks. Konzeptionierung der Figuren, Entwürfe und viele weitere Informationen zum Entstehungsprozess lassen diese Ausgabe fast zu einer Kulturgeschichte des Comics der späten 80er Jahre heranreifen.