Marvels

24. Juni 2022
3 Minuten Lesezeit
Copyright: Panini Comics

Eine Welt, in der übermächtige Gruppierungen die Schicksale der Mehrheit bestimmen, kann keine gerechte sein. Was wäre aber, wenn sich diese elitäre Gruppe für die Mehrheit einsetze? Könnte die Gesellschaft dann von dem Einsatz dieser Individuen sogar profitieren? Wie würde das Leben in solch einer Welt aussehen? Diese Fragen lassen sich in ausladenden Debatten klären oder man greift zum 1994 erstveröffentlichten Comic „Marvels“. In diesem von Kurt Busiek verfassten und Alex Ross gemalten (die Panels gleichen wirklich Malereien) und Epochen überspannenden Comic wird sich dem Thema Superheld aus einer gänzlich anderen Perspektive genähert. Panini Comics veröffentlichte dies als Paperback und auch als Marvel Must-Have Hardcover.

Eine Welt in der es Helden gibt

Marvels Leseprobe
Copyright: Panini Comics

Das spannende an diesem abgeschlossenen vier Kapitel oder Hefte starken Comic ist die Tatsache, dass sie sich aus einer menschlichen Perspektive erzählt. Die Geschichte beginnt im frühen 20. Jahrhundert, also genau zu der Zeit als die ersten Comichefte mit Superhelden auf dem US-Markt erschienen. Der einzige Unterschied jedoch: die Hefte erschienen ohne dass eine reale Figur als Vorlage fungierte. Im Fall von „Marvels“ ist dies eben anders herum. Durch Experimente, Invasionen von Extraterrestrischen Wesen oder im Verlauf entstandene Mutationen entstand eine neue Form humaner Lebensformen. Daraus hervorgehend entwickelten sich auch neue Konflikte und Probleme, die unmittelbar damit einhergingen. So fragt sich der Protagonist, ein angehender Reporter, ob die Zerstörung und das Leid unter der Zivilbevölkerung den Einsatz der Superhelden gerechtfertigt. Das Konzept „Held“ als solches wird hinterfragt, was diese Geschichte per se sehr interessant macht.

So verfolgen wir ganz beiläufig die Publikationsgeschichte, der uns bekannten Marvel-Superhelden in einer Welt, in der diese Realität geworden sind. Von der menschlichen Fackel, über Namor den Herrscher der Meere, den Silver Surfer und Galactus, mit der Einführung von Spider-Man, den divers begabten Mutanten aus der Riege der X-Men und sich fortspinnenden Entwicklungen, erlebt man diese Welt als Leser aus der Perspektive eines „ganz normalen“ Menschen.

Superhelden im Wandel der Zeit

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Es ist aus zweierlei Gründen interessant. Zum einen zeigt Busiek mit jeder weiteren Phase der Superhelden, welche Themen auf einmal in der Gesellschaft relevant geworden sind. Dieser Aspekt ist vor allem im Medium Comic keines Weges zu unterschätzen. Wie jede Kunstform sind Comics ein zeitraffender Spiegel der moralisch-ethischen Weltansichten einer Gesellschaft. Diese sind vertreten durch die Künstler, die diese Comics kreieren. So scheint es ganz selbstverständlich, dass mit dem Empowerment der afroamerikanischen Bevölkerung die Comicwelt Helden hervorbringt, die selber People of Color sind.

Ein modernes Beispiel: Ms. Marvel, die als Teenager mit muslimischem Hintergrund das Kind von in die USA ausgewanderten Pakistani ist und nun eine gefeierte, bald eigene Serie erhaltene, Figur im Marvel-Kanon darstellt. Hier kann man andererseits eine rein kapitalistisches Motiv hinter finden wollen, das ganz simpel versucht das Zielpublikum zu erweitern. Die Tatsache, dass eine solche Figur, wie auch Black Panther es auf die große Bühne geschafft hat, ist aber als positive Entwicklung zu verzeichnen.

Der andere äußerst interessante Punkt, den es Busiek gelingt zu erzählen, ist die sich verändernde Wahrnehmung des Heldentums mit dem eigenen Fortschreitenden Alter. Zu Beginn dieses Comics ist der Protagonist aufstrebend, jung und noch kein Familienvater. Seine Perspektive ist daher grundlegend unterschiedlich auf die Phänomene, Konflikte, die Zerstörung, die Auswirkungen der Handlungen besagter Superhelden, als im hohen Alter kurz vor der Rente. Diesen Wandel zeigt der Autor subtil und gefühlvoll. Mit wachsender Verantwortung für die eigene Familie verschiebt sich das Interesse, die Relevanz eines interstellaren Konflikts zu einer einzigen Frage hin: „Geht es meiner Familie gut?“
Die Geschichte geht sogar soweit, dass seine Kinder selber herangewachsene eigenständige Menschen sind, die in die Fußstapfen ihres Vaters treten wollen. Die Begeisterung für die Helden haben sie quasi in die Wiege gelegt bekommen.

Der Stil

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Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass Alex Ross wohl einer der begnadetsten und wichtigsten Künstler dieser Zeit ist. Seine Arbeiten spielen, ohne dabei zu übertreiben, in einer anderen Liga. Nein, sie spielen einen anderen Sport. Jedes Panel ist wie ein Gemälde, in seiner Komposition, seinen Farben und der Technik einfach einzigartig. Teils fotorealistisch, teils in den Panelstrukturen mehr einer Collage ähnelnd bedient der Künstler einige der Entstehungszeit angepasste Stilistiken. Sicher könnten nun noch weitere Worte gesagt werden, jedoch sollte man sich diese Arbeit wirklich einfach ansehen und in Ehrfurcht erstarren.

Das „Problem“ daran ist, man möchte seine liebsten Helden eigentlich nicht mehr anders zu sehen bekommen. Alex Ross erhielt 1994 für seine Arbeit an diesem Werk absolut gerechtfertigt den Eisner-Award des besten Künstlers.

Marvels
Kunstvolle Superhelden aus anderer Perspektive
Wer noch gar keinen Kontakt zu Comics, Superheldencomics im speziellen, hatte, dem sei geraten sich einmal mit diesem Werk auseinanderzusetzen. Die historische Aufarbeitung dieses populärkulturellen Phänomens Comic, sowie der gesellschaftlichen Strömungen und Veränderungen, wurden wohl selten treffender in einem Werk vereint. Doch seid gewarnt, nicht alle Comics sehen so grandios hochwertig gezeichnet aus wie dieser.
Pro
Wundervolle Bilder
Eine einzigartige Perspektive auf die Superheldengeschichte
Kontra

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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