Die Murkshefte 1 – 3 sind drei Kurzgeschichten, die aus den Federn der Hauskünstlerinnen des Verlags Parallelallee stammen. Diese kleinen Geschichten sind stilistisch allesamt unterschiedlich und nehmen grundlegend andere Perspektiven ein. Dabei nehmen die Titel beispielsweise Bezug auf Gesellschaftskritik, das Aufeinanderprallen von Kulturen oder psychologische Reisen in das Ich einer Künstlerin. Jene Diversität in Inhalt und Form macht diese drei Hefte, auch Dank ihres charmanten Humors zu einer Art „Showcase“ der verlagseigenen Künstlerinnen.
Alle drei Ausgaben sind eine schöne Geschenkidee für Leserinnen, die sonst nichts mit Mainstream-Comics anfangen können und sich der Satire nah fühlen.
Du weißt es doch schon
Eine Künstlerin begibt sich in ihr Atelier und malt ein Selbstportrait. Als sie ein Klopfen aus dem eigentlich leeren Nebenraum hört, erkundigt sie sich ob der aktuellen Mietersituation bei der Leitung der Ateliers. Es sei wie bisher gewesen, leer. Sich der eigenen Neugier aber nicht erwidern könnend, begibt sich in die Untiefen ihrer eigenen Psyche.
Durch einen Flur, der bis unter die Decke mit Klassikern der Literatur rundum eingedeckt ist, betritt sie einen Raum in dem eine Frau und ein „Alien“ sitzen. Zumindest mag man annehmen, dass diese „Gray Alien“ Figur ein Alien sei. Doch schnell erscheinen die zwei Figuren mehr miteinander in Verbindung zu stehen, als angenommen. Laut des Klappentexts handelt es sich hierbei um KI-ÜBERICH und EViL-ES, also ein ganz eindeutiger Bezug zu Sigmund Freuds Theorie zur menschlichen Psyche.
Fazit
Der entstehende Dialog dieser Figuren, der sich zwischen Fiebertraum und ernst zu nehmender Reflexion bewegt, führt zu einem überraschenden Ende. Diese Geschichte von Tina Fetz ist eine, auf künstlerischer und inhaltlicher Ebene, Ausgestaltung eines Reflexionsprozesses und dem inneren Kampf, den man gelegentlich mit sich führt.
Die visuelle Ausgestaltung dieser Kurzgeschichte zeigte einen Realismus, der sich durch viel Leibe zum Detail auszeichnet. Jedes Panel unterstützt die Stimmung dieser Geschichte, fügt dem Gesagten ein Gefühl hinzu und scheut sich nicht vor unangenehmen Szenen. Manches ist dabei fast dem Horror nah.
Pi und die Posthörnchen
Pi ist ein kleiner Pinguin. Gemeinsam mit den Eltern lebt Pi in einer bunten Gesellschaft aus zwei unterschiedlichen Pinguin-Kolonien, denen der untergehenden Sonne und denen des aufgehenden Mondes. In dieser Welt des geduldeten Miteinanders herrschen jedoch auch einige kulturelle Tabus. So beträgt es sich, dass Pi eines Tages mit dem Babysitter (die Eltern sind bei einer kommunalpolitischen Veranstaltung) Posthörnchen isst.
Ein Skandal, denn Posthörnchen sind heilig für die Pinguine der Ebene des aufgehenden Mondes. Anstatt dem Babysitter eine gehörige Standpauke zu halten, verschiebt sich nun die Schuldzuweisung auf das unwissende Pinguinbaby Pi. Es entsteht eine Debatte unter den Erwachsenen, die die Cancel-Culture persifliert und so manche übereifrige Diskussionen um „das korrekte Verhalten“ mit charmanten Dialogen zu etwas Humoristischem macht.
Fazit
Diese kleine auf den ersten Blick unscheinbare Geschichte von Charlotte von Bausznern erzählt viel über die Debattenkultur und das Aufeinandertreffen der unterschiedlichsten Kulturen. Außerdem zeigt es auf, dass manches Problem aus kindlicher Perspektive kein wirkliches Problem zu sein scheint. Probleme sind keine mehr, wenn man sie anders betrachtet.
Der Look dieser Kurzgeschichte ist sehr klar, sehr schlicht und bis auf einige Blautöne ausschließlich monochromatisch zwischen Schwarz/Grau und Weiß. Die Panels als solche sind der kindlichen Perspektive gleichend zumeist rundlich gestaltet. Ein mythologischer Ausflug in eine Sage der Inuit gibt dieser Geschichte zudem noch einen interessanten, bildenden Anstrich.
Berenice und die Moderne
Berenice ist eine starke Herrscherin, die jeden Untertan schnell und skrupellos der Sichel der Gleichheit näher bringt. Sie lässt sie köpfen. Ihre auf Gewalt und Angst basierende Herrschaft scheint allerdings von Innen ausgehöhlt zu sein, denn ihre Untertanen beginnen an ihrer Legitimation zu zweifeln. Sie, die eine kollerische und körperlich einschüchternde Frau zu sein scheint, versteht nun nicht, wie man nicht mal an den Tod und die Angst davor glauben kann. Es muss also Hilfe her.
Sie erfährt von einem Berater, der sich darauf versteht die neofoucaultsche Frauenschaftskunde zu unterrichten. Kurzum ordert sie sich diesen maßlos teuren und von seiner lösungorienterten und nach Effizienz suchenden Methode überzeugt. Berenice lernt eine moderne Frauscherin zu werden, indem sie ihren Untertanen das Gefühl der Anerkennung zu geben scheint, ihnen Vergnügungen zu Teil werden lässt und ihnen die Illusion der Gleichberechtigung vorgibt. Ein Schelm, wer hier Böses vermutet.
Fazit
Diese von Tina Brenneisen geschriebene und Grégory Coursaux gezeichnete Kurzgeschichte ist die wohl lauteste und exaltierteste in dem Trio der Murkshefte. Das Gleichnis der gewaltvollen und nach Geltungsdrang lechzenden Aristokratin ist so wunderbar überspitzt, dass es auf mehreren Ebenen urkomisch ist. Die Kritik am politischen Betrieb und der gesellschaftlichen Selbstermächtigung, mit der die Bevölkerung jede Machtinhaber*innen einfach aushebeln kann, trifft ins Schwarze.
Stilistisch ist dieser Comic ebenfalls der „lauteste“ und schrillste. Eine Monochromatik in Schwarz und Weiß wird hier auch nur bei der Ausnahme Rot durchgezogen. Der Effekt des Köpfens und dem daraus entstehenden Blutfluss verstärkt sich dadurch natürlich immens. Es hat in sich ein größeres Potenzial an eine Karikatur zu erinnern, als andere Comic-Formate und scheint vielleicht auch daher schon eine gewisse Erwartungshaltung beim Leser zu erfüllen.