Dieses Exemplar japanischer Comic-Kunst namens „Rote Blüten“ stammt aus der Feder Yoshiharu Tsuge und bietet eine Reise ins Japan der 60er Jahre. In 20 unterschiedlich elaborierten Geschichten erzählt der Autor und Zeichner vom Leben auf dem Land, den Leuten, Träumen, Ängsten, Mystischem und Fantastischem. Dabei wird ein Symbolismus und eine häufig auftretende Form der Metaphorik und Analogie gezeigt, die für seine Zeit und das Medium „Manga“ besonders war. Die darin enthaltenen Geschichten hat der Reprodukt Verlag als Reprint in der Übersetzung von John Schmitt-Weigand neu aufgelegt und bildet ein umfangreichen Eindruck aus dem Schaffen Tsuges von 1966 bis 1973.
Inhalte und Motive
Der Großteil der hierin enthaltenen Geschichten wird aus einer quasi Autorensicht erzählt. Dabei wird der Eindruck geweckt, dass Tsuge eben jene Erlebnisse schildert, mit Fantasie und einigen für die japanische Kultur typischen Mythen und Archetypen der Erzählung angereichert hat. So verfolgt man häufig den Protagonisten, wie dieser sein Leben auf dem Land bestreitet, die Leute und das Land kennenlernt. Darüber hinaus erfährt man auch noch zwischen den Zeilen eine große Menge zur japanischen Lebensart und Gesellschaft, beziehungsweise der Mentalität der dargestellten Japaner und Japanerinnen in der Mitte der 60er Jahre. Es kommt des Berufs wegen auch häufiger zu Reisen durch das Land, weswegen sich der Eindruck verstärkt, dass der Protagonist schwer auf Yoshiharu Tsuge basiere. Die Häufung der selbstreferenziellen Anspielungen ist zu hoch, um sich diesem Eindruck zu erwehren.
So zeigt Tsuge mit diesem Werk seinen Blick auf das Leben außerhalb der Metropolen und inmitten der idyllischen Natur Japans, die voller Wunder und eigensinniger Menschen zu sein scheint. Doch nicht alle Kurzgeschichten sind auf die Außenwelt fokussiert. Einige dieser Kurzgeschichten zeichnen ein klares Selbstbild, eine Introspektive ins Innen- und Gefühlsleben des Künstlers, die eine von der Suche nach Identität zeugen. Nicht nur die Suche nach einer individuellen, auch nach einer kollektiven Identität lassen sich in „Rote Blüten“ finden. Es lassen sich gleich mehrere Geschichten darin finden, die von einer Unschlüssigkeit ob des eigenen Schicksals und den getroffenen Lebensentscheidungen zu Tage fördern. Seien diese nun aus egoistischen oder kollektivistischen Gründen getroffen worden, wir dürfen die Figuren dabei beobachten, wie sie mit den Konsequenzen umgehen.
Stil
In „Rote Blüten“ zeichnet sich ein dominierender Stil ab. Nebst einiger Ausschweifungen, zum Ende des Schaffenszeitraums innerhalb dieses Werks, bleibt der Zeichenstil sehr konsequent. Es ist in keiner Frage ein Zeichenstil, der sich mit modernen Stilen vergleichen lässt. Die Figuren sind zu großem Teil sehr weich, rundlich, nahezu schematisch und daher eher einer Karikatur gleichend. Der ganz typische Stil der Schwarz-Weiß Panels, wird hier mit schweren Tuscheflächen und dazu kontrastierend feinen Outlines verkörpert. Die Szenerie ist hingegen lebendig, detailliert und liebevoll gestaltet und erinnert dabei sehr an die Stilistik Shigeru Mizukis, die dieser in Kitaro populär machte.
Die Episoden, die andererseits diesen weichen, ja schon kindlichen Stil, brechen sind dann auch häufig in ihrem Inhalt erwachsener, krasser und scheuen sich nicht vor expliziten Inhalten und einigen unter die Haut gehenden Ausschweifungen. Sie sind überdies häufig konsequenter als Kurzgeschichte erzählt und trauen sich den Protagonisten mehr Dimension zu geben. Das „Alter-Ego“ Tsuges hingegen erfährt erst durch die komplementären Kurzgeschichten eine Art Entwicklung. Diese Episoden sind mindestens so experimentell wie sie metaphorisch zu lesen sind. Man erhält mit diesem Werk einen interessanten stilistischen Einblick in eine historische Episode des Manga. Die heute bekannten und zur Normalität geworden Kniffe der Mangaka, wie ein Kreuz am Kopf um Erzürnen zu zeigen oder ein Tropfen um Scham darzustellen, sind in „Rote Blüten“ noch nicht zu erkennen.