Runnner – Always Repeating

1. Juli 2021
3 Minuten Lesezeit

Noah Weinman hat sich mit „Always Repeating“ ein erstes Album und einen musikalischen Rückblick auf die letzten Jahre seines kreativen Schaffens verwirklicht. Die fünf Titel lange Debüt-EP „Awash“ aus dem Jahr 2017 sowie die EP „One of One“ von 2020 hat er auf diesem Album zusammengebracht. Er hat sich als „Runnner“ gefunden und verkörpert nun seinen gefundenen Stil aus weiten Flächen, vielen ineinandergreifenden Instrumenten, die er alle selber spielt, und dem charaktergebenden mehrstimmigen Gesang.

Die Themen des Albums

Weinman war in den letzten Jahren selber viel in Bewegung und erlebte (laut eigener Biografie des Künstlers) immer wieder das Gefühl des nicht Verbundenseins mit der Welt und anderen Menschen. Dieses Gefühl lässt sich nicht nur textlich, sondern auch musikalisch hören. Doch dazu später.

Die Art und Weise, die Stücke zu strukturieren, gleicht mehr einem Gedicht als der allgemein bekannten Pop-Rock-Song Struktur. Der Text wird zwar mit musikalisch unterstützter Wirkung zu so etwas wie einem Refrain geführt, jedoch hat kein Song dieses Albums so etwas wie eine Hook, also eine sich wiederholende Phrase, die wir auch als Refrain betiteln. Mit dieser sich weitererzählenden Art, eine Geschichte zu erzählen, kreiert Weinman jedes Mal eine kleine Geschichte, die sich in seinen Songs entfaltet.

Seine Bilder bestehen teilweise aus dem Spiel der Jahreszeiten, der Benutzung der Elemente als Transport von Eigenschaften, doch vor allem erzählt Runnner sehr gerade heraus, was ihn in den letzten Jahren beschäftigte.
Er sehnt sich nach einer lang vergangenen Liebe, die mit jedem weiteren Tag unwiederbringlicher scheint. Seine Hoffnung kann er nicht loslassen und vor allem stellt er sich viele Fragen zu seinen Entscheidungen, seinen Gefühlen und seinen Gedanken. In der Textzeile

and i’ve been sick since seventh grade
and it’s not terrible but it’s too long
and we still talk but now it’s changed
does it hurt more to just move on?
maybe i loved you
or maybe i wanted to

(aus „Ur Name on a Grain of Rice“)

liegt wohl ziemlich genau dieser Kern seiner Fragen. Schmerzt es mehr, einfach weiterzugehen? Die Zeit lässt sich nicht umkehren und dieser Tatsache wurde sich Weinman wohl auch klar. In einigen weiteren Liedern dieses Albums verstärkt sich das Gefühl, dass die einstige Liebe zwar noch in seiner Nähe ist, er sich aber unfähig oder nicht passend fühlt, einen Schritt in eine Richtung zu unternehmen. In dieser ambivalenten rückwärtsblickenden Stimmung bewegen sich nahezu alle Songs dieses Albums.

Die musikalische Umsetzung

Wohl am prägnantesten ist der gedoppelte Gesang in jedem Stück. Wenn nicht gedoppelt, dann sogar als räumlich weiter Chor mit oft mehr als fünf Stimmen in einer extrem breiten Abmischung, die sich über das gesamte Stereofeld erstreckt. Die Stimme als solches klingt an sich klar, wenn auch stetig gedoppelt und daher immer ein wenig, als würde ein Effekt darauf liegen. Dieser Eindruck lässt sich so nicht widerlegen, denn alle wissen, dass vor allem an der Stimme so viel editiert wird, dass es nicht verwundern würde, wenn auch an dieser Stelle.

Die Wahl der Instrumente rangiert von Beat-Machines, Effekten aus der Soundmediathek Weinmans, Streichern, verschiedenen Gitarren, Banjo und Holz- wie auch Blechbläsern, die wohl auch selber gespielt wurden. Das Spektrum ist groß, aber auch nicht immer prägend für ein Stück, denn teilweise treten einige Instrumente nur ein einziges Mal auf, beispielsweise in einem Zwischenspiel zweier Textteile. Dann nutzt Weinman aber die gesamte Stimmung, die diese Instrumente fördern und inszeniert sie auch breit und polyphon.

Angenehm sind die Bläser an den Stellen, an denen sie präsentiert werden. Sie werden nicht zu aufdringlich oder solistisch verwendet. Auch mit denen erschafft er hauptsächlich einen Effekt von Fläche, Raum und Breite des Klangs. Selbst das sonst so stilbedingende Banjo nutzt er in einer Art und Weise, dass das Picking sich als rhythmischer Unterbau ganz gut eignet und nicht zu sehr in Richtung Country oder Bluegrass abrutscht. Rhythmisch und melodisch sind die Stücke unterschiedlich anspruchsvoll. Meist unterliegen die Songs jedoch der leicht verständlichen rhythmischen Aufteilung mit seinen bekannten Popmusik Schwerpunkten. Alle Stücke sind zudem im Vier-Viertel Taktmaß geschrieben, was den populärmusikalischen Eindruck noch verstärkt.
Die Melodien (vor allem des Gesangs) sind leider recht häufig ähnlich und nutzen auch an den Höhepunkten ähnliche Muster und Melodien, um eine gewisse Spannung zu erzeugen. So kann es passieren, dass die Songs sich ineinander schmelzend zu einem großen Stück verbinden könnten.

Fazit
Es sind interessante Ideen zu hören, jedoch fehlt dem Ganzen noch etwas melodische und vor allem rhythmische Diversität. Andererseits ist der Stil eben genau das. Melancholisch, ein wenig an Grunge in seiner vokalen Artikulation erinnernd und weit in seinem flächigen Sound, den Runnner mit seinen vielen unterschiedlichen Instrumenten kreiert. Noah Weinman fasst seine letzten Jahre zusammen und erzählt uns, den Hörern, seine innersten Gedanken und Gefühle, oft ziemlich direkt, manchmal hinter einigen Chiffren und Metaphern versteckt. Sein Gefühl des Alleinseins, des sich nicht zugehörig Fühlens und der emotionalen Distanz lässt schon den Herbst in den Ohren fühlbar werden. Es ist ein solides Album, das „Runnner“ zum ersten Mal als gesamtes Konzept verkörpert.
Pro
Spannende Atmosphäre, interessante Texte.
Kontra
Musikalisch ein wenig redundant.
6

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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