Schon gehört, was Ed Gein getan hat?

15. Juni 2024
3 Minuten Lesezeit
Schon gehört, was Ed Gein getan hat? Splitter Comic Cover

Filme wie „Texas Chainsaw Massacre“ oder die ikonischen Szenen aus Hitchcocks „Psycho“ haben sich ins kollektive Gedächtnis westlicher Popkultur gebrannt. Dass jene filmischen Werke allerdings auf einer doch sehr realen Begebenheit basieren, ist den allermeisten nicht klar. In „Schon gehört, was Ed Gein getan hat?“ gehen der Autor und Professur für amerikanische Literatur Harold Schechter mit der zeichnerischen Meisterklasse Eric Powells daran diese Geschichte grafisch aufzuarbeiten. Dem journalistischen Ethos unterworfen, also der größtmöglichen Genauigkeit an Fakten entlang, zeigen die beiden Künstler die Geschichte der traurigen, schockierenden und verstörenden Person Edward Gein. Diese journalistische Reise in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts der USA erschien in einem massiven, mit Auszügen aus Protokollen, Interviews und einer Fülle an Konzeptzeichnungen angereicherten Hardcover-Ausgabe beim Splitter Verlag.

Zum Monster wird man gemacht, nicht geboren

Schon gehört was Ed Gein getan hat Leseprobe 1
Copyright: Splitter Verlag

Der Einstieg in dieses Werk zeigt ein Interview mit Alfred Hitchcock zum kontrovers diskutierten Film „Psycho“. Die schiere Fülle an interessanten Fakten zum gesellschaftlichen Leben der USA in den 60er Jahren und die Einsicht schaffenden Worte Hitchcocks setzen den Ton dieser Graphic-Novel. Es wird nicht beschönigt, Auslassungen nur der Dramaturgie wegen vorgenommen und gezeigt was gezeigt werden muss. Die jeweiligen Cover der nächsten Kapitel sind Zeitungen, die sich aufeinander stapeln und eine jeweilige zum folgenden Kapitel einleitend Schlagzeile präsentieren. Dieser stilistische Kniff vermittelt eine Authentizität, die fantastisch einfach und effektvoll erscheint.

Die eigentliche Geschichte beginnt, wie jede umfassende Beschreibung einer Person, mit der Vorgeschichte der Eltern Edward Geins. Diese Ehe, gezeichnet von Missbrauch in milderer oder sogar gewaltvoller Form, ist natürlich prägend für den heranwachsenden Protagonisten. Eine fundamentalistisch religiöse Mutter und ein Vater mit unaufgearbeiteten psychischen Störungen ist selten ein Haushalt der Harmonie und des Aufwachsens in Freiheit.

Ed’s Mutter hätte gern eine Tochter gehabt, doch war Ed der zweite Sohn der Familie. Sie zögert nicht daran Ed, der zudem auch mit einer Missbildung im Gesicht auf die Welt kommt, was sie als ein Zeichen der göttlichen Vorsehung und Bestrafung interpretiert, miserabel zu behandeln. Die psychisch Misshandlung, die fanatische Religiösität und die anhaltende Zerstörung Ed’s Selbstwertgefühls führte über Jahre hinweg zur Überidealisierung seiner eigenen Mutter. Sie war es außerdem, die ihm die Ausbildung einer eigenen gesunden Sexualität gänzlich verwehrte. All wird in der Darstellung der frühen Kindheit und Jugend so stringent und glaubhaft gezeigt, dass die Konsequenz und das Ergebnis daraus nicht verwunderlich ist.

Der Beginn des Grauens

Copyright: Splitter Verlag

Meisterlich einfühlsam, nie zu plakativ oder überinterpretierend und immer auf aktuellen psychologischen Analysen fußend, zeigen uns Schechter und Powell also die Jugendjahre. Jene prägende Zeit, die zumeist den weiteren Werdegang eines jeden Menschen in seinen Fundamenten bestimmen soll. Mit dem Versterben der Mutter Edward Geins beginnt für ihn jedoch eine neue Ära. In den Untersuchungen wird nicht klar, ob ihr Tod der Auslöser des nun in die Geschichte der berüchtigsten Straftäter der USA eingehenden Mannes war. In den folgenden Jahren wird Ed jedoch mehrfach geheime Exhumierungen ausüben und mindestens zweifach Morden. Bekannt geworden ist Gein jedoch durch die in Texas Chainsaw Massacre verarbeiteten Praktiken der Verarbeitung von Leichenteilen. An dieser Stelle sollen sie jedoch nicht weiter ausgeführt werden.

Visuell ergreifend

Es ist eindeutig keine Graphic-Novel für schwache Nerven. Obwohl die eigene Faszination für das Genre Horror nahezu nicht vorhanden ist, übt diese Geschichte eine morbide Faszination aus, die nicht zuletzt durch die großartigen Bilder und die packende Inszenierung angetrieben wurden. Man muss an dieser Stelle sagen, dass Powell nicht davor zurückschreckt das Grauen zu zeichnen. Es bleibt allerdings frei von ausübender Gewalt, was die ganze Erfahrung dieser Graphic-Novel noch viel intensiver und schauriger werden lässt. Ganz im Stile Hitchcocks „Suspense“ oder auch der Spannung durch Auslassung nimmt Powell die Freiheit heraus nicht alles zu zeigen und dennoch den Effekt der Abscheu bei den Lesenden zu platzieren.

Die visuelle Struktur verläuft sehr regulär und gradlinig. Das gesamte Werk ist monochromatisch in Abstufungen einer schwarz-weißen Optik koloriert. Dabei ist nicht jeder Farbgradient miteinander vergleichbar, denn manchmal scheint Aquarell die gewählte Technik, andern Male ist erscheint es so, als wäre Kohle und Bleistift das Werkzeug gewesen. Die feinen Tuschelinien zur Bildung von Konturen sind auch nicht immer sofort wahrnehmbar oder gar generell vertreten. Es zeigt sich eine große Variation von Zeichen- und Maltechniken, die dieses Werk um ein Weiteres zu einem sehr besonderen machen.

Schon gehört, was Ed Gein getan hat? Splitter Comic Cover
Großartig, schauriger Kriminalfall
„Schon gehört, was Ed Gein getan hat?“ ist ein großartiges Beispiel für eine Graphic-Novel mit dokumentarischem Anspruch, die auf künstlerischem Niveau neue Maßstäbe zu setzen vermag. Vom Layout, dem Design der Figuren und der Verarbeitung fotografischer Dokumente, über die akribische Aufarbeitung der Protokolle, Dialoge und Interviews bis hin zu einer gelungenen Einbettung in die popkulturellen und gesellschaftlichen Auswirkungen dieses Falls ist dieses Werk schlichtweg erhaben und meisterhaft. Die packende, absurde und abscheuliche Geschichte fesselt, wühlt auf und regt die Frage nach der zerbrechlichen Menschlichkeit im Menschen an. Es ist wohl eines der am besten gelungenen Werke, die sich diesem Genre verschrieben haben. Ausnahmslos ein Tipp für jeden interessierten Menschen an den Abgründen der Menschlichkeit, den Taten eines psychisch über lange Jahre zerstörten Individuums und fabelhafter Kriminalgeschichten.
Pro
großartiges Artwork
spannende auf Protokollen und Fakten basierende Geschichte
schaurig und traurig zugleich
Kontra
nichts!
10

Über Hünerfürst.de

Einer der bekanntesten deutschen Netzkultur Blogs seit 2009. Nils Hünerfürst und seine Familie schreiben hier auf Hünerfürst.de über Technik, Kultur, Essen und Videospiele.

Über den Autor

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.