Sing a Bit of Harmony

10. April 2022
3 Minuten Lesezeit

Wollte nicht jeder Science-Fiction-Fan irgendwann eine eigene künstliche Intelligenz haben? Eine humanoide KI, die einem im Leben hilfreich sein kann und vielleicht sogar die teilweise verloren gegangene Freude in Aspekten des Lebens wieder nahe bringt? Dieser Frage widmet sich der Film „Sing a Bit of Harmony“, der über Crunchyroll in Deutschland veröffentlicht wird.

Der Regisseur Yasuhiro Yoshiura arbeitet auf der Grundlage des Drehbuchs von Ichiro Okouchi. Die Animation stammt aus dem Studio J.C.Staff, die auch schon für Food Wars produziert haben. Komponist dieses Sci-Fi-Coming-of-Age-Highschool-Musicals ist Ryo Takahashi, dessen Arbeiten auch schon Nominierungen erhielten. Der Film hat eine Spiellänge von schnell verfliegenden 110 Minuten.

Bistdu glucklich?

Wir befinden uns in einem Japan der nahen Zukunft. Die Protagonistin Satomi wacht in ihrem volltechnisierten und auf Sprachbefehlen agierenden Zuhause auf. Ihre Mutter arbeitet in der Firma, die als Arbeitgeber nahezu alle Familien der Gegend beschäftigt. Sie entwickelt künstliche Intelligenzen und ist viel und häufig bis spät in die Nacht unterwegs. Zum Glück ist Satomi die selbstständigste und fleißigste Tochter, die sie sich wünschen könnte. Wäre da nicht der Wunsch, dass Satomi wieder einmal glücklicher würde. Sie gilt in der Schule als Außenseiterin, ihre Spitznamen sind Petze und Streberin. Außerdem scheint sie im Kern verletzt zu sein und nicht sehr von der Liebe überzeugt, wenn sie sagt:

„Dass die Zeit alle Wunden heilt, ist eine Lüge. Denn in Wahrheit entstehen nur Narben.“

Bis zu dem Tag des Starts eines gewagten Experiments lernen die Zuschauer:innen die nahestehendsten Personen Satomis kennen. Gocchan, der coole Motorrad fahrende Schöne, die neidische und starrköpfige Aya, die in Gocchan verliebt ist, den unbeholfenen und strebsamen Judoka Thunder und natürlich den seit der dritten Klasse in Satomi verliebten Toma, der ein wahres Computer-Genie ist. Wahrscheinlich hätte sich nur langsam etwas an deren Personenkonstellation und Kommunikationsweise geändert, wäre da nicht die Neue in der Klasse. Shion, eine unangepasste und merkwürdige neue Mitschülerin. Satomi ist anfänglich die einzige, die darüber Bescheid weiß, dass Shion wahrscheinlich ein Roboter und gleichzeitig KI-Experiment ist.

Was ist künstlich, was ist menschlich?

Die Frage, die Shion mangels menschlicher Sozialkompetenzen immer wieder und in unpassenden Momenten stellt, ist: „Satomi, bist du glücklich?“. Diese Frage wird mantraartig durch den Film hinweg wiederholt. Es scheint der KI einzig und allein darum zu gehen, die Schülerin glücklich zu machen. Eine Thematik, die auch im Laufe des Films besprochen wird. Sind künstliche Intelligenzen daran interessiert, ihre Erschaffer glücklicher zu machen?

Es passiert schon früh, was dringend verhindert werden sollte. Jemand merkt, dass Shion nur ein Roboter ist. Zum Glück sind es besagte Personen, zu denen Satomi über dieses Geheimnis nun eine neue Beziehung aufbaut. Es entsteht eine Dynamik, die darauf basiert, dass Shion den Problemen in Kommunikation und der Erfüllung von Wünschen überschnell zuvorkommt und die Problemlösung den Beteiligten fast aufdrängt. So gestehen sich Gocchan und Aya beispielsweise ihre Gefühle füreinander und Thunder übt für einen Wettkampf mit Shion. In solchen und anderen essenziellen Szenen beginnt die KI Shion zu singen und verpackt die Kernaussagen in einem Lied. Die Lieder bleiben dabei alle in japanischer Originalsynchronisation mit deutschem Untertitel.

Es bleibt natürlich nicht so rosig und leicht. Die Situation droht problematisch zu werden für Shion und Satomis Mutter, denn immer noch muss sie sich gegen die toxische Männlichkeit in ihrem Betrieb auflehnen und zur Wehr setzen.

Bunt und explosiv

Bereits die Introsequenz setzt eine gewisse Tonalität der Bilder, die durch den Film hinweg getragen wird. Die Animation zeigt eine auf knalligen bunten Bahnen verlaufende Fahrt durch eine abstrahierte Netzwerkstruktur. Die bunten Explosionen, die wie Feuerwerk am Horizont stehen, werden auch im weiteren Verlauf des Films noch einmal auftreten.

Der Animationsstil zeigt eine Mischung aus konventioneller Animationstechnik japanischer Animes und dem immer häufiger zu findenden CGI-Look. Dem Studio J.C.Staff gelingt es aber, die sich sonst nicht unbedingt nahtlos ins Bild einfügenden 3D-Animationen, recht organisch einfließen zu lassen. Die leichten und dennoch warmen Farben verleihen dem alltäglichen Treiben eine charmante und ansehnliche Leichtigkeit. Auch die relevanten Figuren sind in feinen Unterschieden voneinander und in ihrem liebevollen Ausdruck wunderbar gelungen.

Hat Shion ihren großen kathartischen Moment, übertreffen sich die Animationskünstler in Kitsch und Farben selber. Das stimmungsvolle Spiel mit der Nacht, dem Licht des Mondes, besagtem Feuerwerk und groß angelegter Musik machen diese Szene auch zu einem visuellen Höhepunkt. Wie sehr man sich von diesem Film ergreifen lässt oder vom Kitsch abgeschreckt wird, obliegt jedem selbst zu beurteilen.

Kritik

Der Film zeigt eine Realität, die volltechnisiert und über allen Maßen auf Glück und Erfolg funktioniert. Dabei wird gar nicht hinterfragt, ob es denn von Belang oder überhaupt realistisch ist, immer glücklich zu sein. Trauer und Schmerz werden einfach mit einem Liedchen weggesungen oder man wechselt schnell das Thema. Ebenso unkommentiert bleibt ein Zwischenfall von Gewalt im Sinne der „Erziehung“ an einem der Freunde.

Mindestens genau so wenig wird über die Problematik von Privatsphäre und persönlichen Rechten diskutiert. Sie stehen schließlich in jedem Moment und nahezu überall unter Überwachung durch die Kameras und Roboter des KI-Konzerns. Nur ein kleiner Nebensatz einer der Freunde wird diesbezüglich geäußert, auch erst dann, wenn sie selber ihrer misslichen Lage zu verantworten sind. Auch die Mutter-Tochter-Beziehung scheint zwar sehr harmonisch, ist aber von der Abwesenheit der Mutter geprägt. Die Tochter schmeißt den Haushalt und sorgt dafür, dass sie immer effizienter werden, was ihre Haushaltskosten anbelangt. Die alleinerziehende Mutter gibt sich ganz für ihre Arbeit hin und vertröstet ihre Tochter Satomi immer nur damit, dass sie bald einmal in den Urlaub fahren würden.

Fazit
„Sing a Bit of Harmony“ ist ein verträumtes und visuell aufblühendes Coming-of-Age Musical mit herzlichen Figuren. Die Charaktere entwickeln sich alle in ihren Möglichkeiten schlüssig, die zur Diskussion gestellten Fragen um „Menschlichkeit“ von künstlicher Intelligenz werden zwar nicht abschließend beantwortet, aber es wird einem offen gestellt, selbst darüber zu urteilen. Der zuversichtlich optimistische Film eignet sich zweifelsohne für regnerische Tage und kann ganz zweifelsohne auch mit kleineren Kindern gesehen werden.
Pro
Visuell lebendiges und verträumtes Coming-of-Age-Musical mit liebenswerten Charakteren, erforscht Fragen der Menschheit in künstlicher Intelligenz, emotional nachklingende Momente durch Gesang.
Kontra
Vereinfacht die Auswirkungen von Emotionen und persönlichen Kämpfen zu stark, es mangelt an einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen wie Privatsphäre und emotionaler Vernachlässigung, gelegentlicher Rückgriff auf Klischees.
9.6

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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