Spider-Man 9 – Zeit der Sühne

4. April 2022
3 Minuten Lesezeit

Der hiesige Neustart des „Amazing Spider-Man“, konzeptionell geleitet von Nick Spencer, wurde über fast 40 Kapitel vom Invincible Zeichner Ryan Ottley mitgestaltet. In diesem neunten Band des bei Panini Comics erscheinenden „Spider-Man Neustart“ sucht man den Künstler vergebens. Damit ist eine stilistische Neuausrichtung maßgeblich für den Look und das Gefühl der Reihe. In „Zeit der Sühne“ sammeln sich mit Mark Bagley, Guillermo Sanna, Bruno Oliveira, Kim Jacinto und Marcelo Ferreira dennoch nicht weniger ranghafte und auch talentierte Zeichner. Das Paperback macht bereits mit dem Coverdesign klar, worum es sich drehen wird.

Das Kind, das Wolf ruft

Diese aktuell laufende Serie des „Amazing Spider-Man“, in Deutschland nur als „Spider-Man Neustart“ veröffentlicht, nähert sich mit diesem Paperback der Ausgabe 50. Somit bleiben noch weitere 24 Kapitel ausstehend, bis der Autor Nick Spencer an den geübten Schreiber des Superhelden-Materials Zeb Wells und den Großmeister des Spider-Mans John Romita Jr. abgibt. Dieser Run läuft derzeit noch in den USA und wird vermutlich erst mit einigen Jahren Verzögerung bei uns durch Panini übersetzt eintrudeln.

Doch was geschieht denn eigentlich in dieser Ausgabe? Nun ja, das Cover verrät einem schon durch die räumliche Aufteilung, wer in diesem Paperback die Hauptrolle spielen wird. So viel sei gesagt, Spider-Man ist es nicht.

Aber zurück zum Anfang der Figur Sin-Eater. In den schon häufiger angesprochenen düsteren und mutigeren 80er Jahren erblickten in der Welt der Comics viele neue Bösewichte und Helden das dünne bunte Papier. So auch der prominent auf dieser Ausgabe thronende Sin-Eater. Seine Fähigkeit ist es, mithilfe seiner Schrotflinte die Fähigkeiten seiner erschossenen Sünder zu übernehmen. Er galt lange als geheilt und war sogar tot geglaubt. Jetzt wandelt er in seiner heiligen Mission, der Welt Gerechtigkeit und Erlösung zu bringen.

Das Paperback startet mit einer ausführlichen Einleitung zur Figur. Diese ist wohl das Interessanteste an dieser Ausgabe. Psychologisch komplexe Strukturen, Schuld, Moral und Wahn treffen darin aufeinander. Der überhandnehmende Wahnsinn in Stanly Carter alias Sin-Eater lässt diesem jedoch keine Wahl und er ergibt sich des Schicksals seiner Fähigkeiten. Er wird richten und den Sündern dieser Welt die Last abnehmen, natürlich nur durch erschießen. Warum genau jetzt, mag man sich fragen. Nun, wie schon seit der ersten Ausgabe steckt der alles überspannende Antagonist Kindred hinter allem.

Allmählich wird dieser Trick doch leider alt, auch wenn eine spannende Traumsequenz in dieser Ausgabe einiges an Potenzial verspricht. Es wurden bisher aber immer neue Figuren eingeführt, alte Beziehungen neu interpretiert, bisherige Feinde zu möglichen Freunden gemacht und alles immer und ausschließlich, um dem großartigen und langfristig geplanten Spiel des Kindred zu entsprechen. Gerade wenn man dachte, die Handlung erzähle nun etwas Neues, es gehe voran, dann treten solche Figuren wie Sin-Eater oder der in diesem Band ausführlicher präsentierte Overdrive auf den Plan und nehmen das Geschehen auf eine Umleitung mit. Es wirkt mittlerweile häufig so, als würde der Autor sich die Zeit etwas zu großzügig gönnen. Dadurch macht die eigentliche Kindred-Saga wenig wirklichen Fortschritt in der Handlung.

Viele neue Facetten und Stile

Guillermo Sanna startet mit dem „Sins Rising Prelude“, das sich in seinen Bildern wie eine abgespeckte Variante einiger Sean Phillips Panels anfühlt. Interessant an diesem Kapitel sind die vermeintlich stilistischen Blenden und Wechsel, die innerhalb des inneren Monologs des Sin-Eaters vonstatten gehen. Dabei zeigt der Künstler sein breites Können im Retro Stil der 70er und der besagten Crime-Noir Optik. Beides jedoch in eher schemenhafter Ausführung, mit wenig Details oder gar tiefer Atmosphäre.

Im Folgenden begeben sich Kim Jacinto und Bruno Oliveira auf die Reise, Peter Parker durch Alpträume zu schicken. Sie nutzen häufige Rasterfolienschattierung, sind geschickter darin, ihren Helden Ausdruck mit ihren Masken zu verleihen als andersherum und können Action gut inszenieren. Es ist eine grundsolide Arbeit des Teams, das jedoch wegen einiger Designmakel etwas an Reiz verliert.

Das Kernkapitel dieses Paperbacks hat Mark Bagley gezeichnet. Man muss nicht mehr allzu viele Worte über Bagley verlieren, der nebst Romita Jr. stilprägend für den Look der 90er Jahre an Spider-Man mitverantwortlich war. Es ist hochklassige Zeichenkunst mit viel Aufmerksamkeit für Details, toller Aufteilung eines Panels und einer Seite und schwungvollen Kampfszenen. Zu guter Letzt zeichnet Marcelo Ferreira die übrigen zwei Kapitel dieses Bandes. Seine Stilistik nähert sich der seines Vorgängers, wenn man auch sagen muss, dass einige seiner Figuren- und Gesichterentwürfe mächtig überzeichnet wirken. Das Setting und die Inszenierung sind mindestens genauso gut wie die des Vorgängers. Besagte Expressionen hingegen scheinen zu Teilen übers Ziel hinaus zu schießen und wirken daher unfreiwillig grotesk, ja manchmal sogar komisch. Sein Stil entlässt die Leser:innen mit einigen starken Bildern und einer erwachsen gewordenen Bild- und Farbsprache in den Cliffhanger.

Fazit
„Spider-Man Neustart 9: Zeit der Sühne“ lässt die gerade erst wieder aufgenommenen Zügel der Kindred-Saga wieder etwas lockerer. Der vorher aufgebaute Schwung, die Spannung und die Erwartungen blinzeln auch in dieser Ausgabe erst kurz vor Ende aus einer vergessenen Ecke ins Licht der Geschichte. Stilistisch ist diese Ausgabe auch eher durchwachsen. Sollte man dieses Paperback als zufälliges Exemplar in die Finger bekommen, würden wahrscheinlich wenige diese Serie vom ersten Band beginnen. Stark angefangen, stark nachgelassen und in dieser neunten Ausgabe zur Platzpatrone geworden. Im kommenden Band wird mit dem 50. Jubiläum dieser Reihe ein Meilenstein erreicht. Hoffentlich wird die Geschichte bis dahin ebenso reif und nennenswert einer Würdigung im Comic-Schrank.
Pro
Verschiedene künstlerische Stile verbessern das visuelle Geschichtenerzählen. Eingehende Untersuchung des Sin-Eater-Charakters und psychologischer Themen; Mark Bagleys außergewöhnliche Kunstwerke sorgen für einen nostalgischen Touch; Solide Actionsequenzen und ausdrucksstarkes Storytelling.
Kontra
Gelegentlich unzusammenhängende Erzählung mit der Einführung scheinbar nicht verwandter Charaktere.
8.2

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Über den Autor

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.