Mit der von Hickman eingeführten neuen Realität erstreckt sich der Kosmos der Mutanten des Marvel-Universums mittlerweile über sechs zeitgleich laufende Reihen. Dank des aktuellen Umstands können Mutanten nicht mehr sterben, sie beleben eine eigene Insel, die exklusiv für Mutanten Schutz und nahezu unbegrenzten Reichtum birgt.
In „X-Men – Ein Volk, zwei Inseln“ wird ein in „X of Swords“ begonnener Konflikt, dessen lebenspraktische Auswirkungen und eine altbekannte, wiederbelebte Bedrohung erzählt. Als großes Highlight dieses bei Panini Comics erschienen Paperbacks gilt jedoch die vor einigen Ausgaben unbeendete Geschichte um den „Vault“ und das Team aus Laura „Wolverine“ Kinney, Synch und Darwin.
Alle Kapitel stammen aus der Feder von Jonathan Hickman.
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Nach dem großen Turnier Arakkos nähern sich die zwei Mutanten-Reiche zusehends an. Allerdings stellen die Bewohner, Repräsentanten und die lebendig gewordenen personifizierten Inseln selber fest, dass sie in kaum einem Aspekt gleicher Ansicht sind. Sie sind sich fremd und hegen kein Verständnis für die Lebensrealität des anderen; ein klassisches X-Men Motiv. Im Zuge dessen soll auf Anraten von Kommandeur der Kampftruppe X-Men Cyclops und Jean Grey ein neues Team aus Kämpfern gewählt werden. Nicht etwa vom Stillen Konzil, nein, von allen Mutanten. In den nächsten Ausgaben werden wir also ein neues Team präsentiert bekommen, worin die reale Abstimmung unter allen Marvel-Fans für das nächste Teammitglied sicherlich verarbeitet wird.
Ein kurzer, in einem Kapitel abgehandelter Ausflug befasst sich mit interstellarer Kooperation, einer Entführung der Prinzessin der Shi’Ar und einem Aufstand der Ausgebeuteten. Dieses Heft beschäftigt sich in weiten Teilen mit der Rechtschaffenheit und Ungerechtigkeit von Selbstjustiz in der Hand eines Ausgebeuteten einer ehemaligen Kolonie, die schlichtweg als Rohstofflieferant dienen sollte. Es bietet viel Fläche für weitere Verzweigungen und bleibt daher auch noch relevant für die Mutanten.
Über die folgenden zwei Kapitel, die sich wie eine ganz eigene Geschichte lesen und anfühlen, könnte man lange reden. Ein Team aus drei extrem überlebensfähigen und robusten Mutanten wurde in ein hermetisch abgeschlossenes Taschenuniversum geschickt, um mögliche Bedrohungen zu analysieren. Zeit verläuft dort anders, was dazu führt, dass Wolverine, Synch und Darwin mehrere Hundert Jahre innerhalb des Vault verbringen und ums Überleben kämpfen. Es ist eine sagenhaft gute Geschichte über Freundschaft, Anpassung an Lebensumstände, eine Analogie auf „evolutionäre Sprünge“ und die Liebe selbst.
Der Stil
Den Start dieses sehr abwechslungsreichen Paperbacks macht der Zeichner Phil Noto, dessen klare Linien, markante Outlines und leichte Art Expressionen zu illustrieren schon in zahlreichen anderen X-Titeln zu bestaunen sind. Auch hierin bleibt er sich und seiner Arbeitsweise treu, zeichnet und koloriert alles in Eigenregie.
Der Ausflug ins kosmische Reich der Shi‘Ar wurde von Brett Booth gezeichnet, der bereits in der X-Men Legends einen fulminanten Retro-Stil kunstvoll bewies. Seine Bilder erinnern schwer an die Zeichnungen aus der Zeit der 90er und späten 80er Jahre. Man kann also viele übervolle Splashpages, eingeschobene Panels mit Gesichtsausdrücken im Close-up, jede Menge Details in der Szenerie und eine große Dichte an Schraffuren sehen. Dies ist das einzige Kapitel, das nicht vom Zeichner selber koloriert wurde. In diesem Fall übernahm Adelso Corona die Farbgebung.
Im dritten Handlungsstrang, dem des Teams um Wolverine, wird man als Leser:in in eine stark kontrastierende Bildsprache mitgenommen. Gravierend anders als der vorher gezeigte Retro-Stil Booths zeichnet Mahmud Asrar klare überschaubare Panels. Reduzierte Hintergründe, schlichte und fast schon minimalistische Linienführung an seinen Figuren und filmische Perspektiven machen diese zwei Kapitel zu einer sehr immersiven Leseerfahrung.
Den Abschluss dieses stilistisch und erzählerisch vielfältigen Paperbacks bildet Francesco Mobili. Einige seiner Arbeiten kann man in der aktuellen Reihe des Spider-Man bestaunen. Die darin aufgebaute Spannung um die apokalyptische Bedrohung Nimrod, den Konflikt Mystiques und dem Stillen Konzil konnte Mobili in starken, selbst kolorierten Bildern zeigen. Seine ganzheitlich konzeptionierten Panels zeigen hochgradig spannende Perspektiven, sehr interessante Figurendesigns, filmische Bildwechsel und Expressionen, die sehr viel Lust auf mehr machen. Die Vielfalt dieses Paperbacks lässt sich – wie auch die Welt der Mutanten – daher nicht in kurzen Worten beschreiben. Es ist bunt, divers und man muss sich selber ein Bild machen von der Reichhaltigkeit dieses Kosmos.