Biaoren – Die Klingen der Wächter

China ist extrem divers in seiner Kultur und war in der über 3000 Jahre langen Geschichte stetigem Wandel unterlegen. Auf Grund der riesigen Landmassen, immerhin ist es heute das viertgrößte Land der Welt, haben schon immer viele Völker das heutige China besiedelt, umkämpft und kulturell geprägt. Einige der stereotypisch chinesischsten Dinge sind durch Migration und Assimilation zu diesen geworden. Das wohl prominenteste Beispiel ist der Buddhismus, der ursprünglich von indischen Missionaren nach China kam und dort zu dem verändert wurde, was wir heute kennen: Statuen von grinsenden dickbäuchigen Männern, die man sich aufs Fensterbrett stellt. Spoiler: Das hat kaum etwas mit tatsächlichem Buddhismus zu tun.

Da auch heute noch Umwälzungen, Proteste, Landannexionen und machtpolitische Gefechte in und um China, viele Teile der Welt beschäftigen, lohnt es sich näher mit der Kultur Chinas zu beschäftigen. Die oftmals, zumindest aus der eurozentristischen Perspektive, schwer nachzuvollziehende Hörigkeit gegenüber Hierarchie und bestehenden Machtstrukturen lassen sich erheblich besser verstehen, wenn man einen Blick in die Historie wirft. Einige sehr traurige Beispiele von Machtmissbrauch und der Niederschlagung von Protesten sind: das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens, Maos Gewaltmärsche während der kommunistischen Revolution, die Jahrzehnte lange Unterdrückung der Uiguren und der anhaltende Kampf um Taiwan und Hongkong.

Das Setting des Comics

Vor diesem Hintergrund schuf der Autor und Zeichner Xu Xianzhe einen epochalen Manhua (chinesischer Manga) über den Kampf gegen eine vorherrschendes System der Ungerechtigkeit und des Missbrauchs. „Biaoren – Die Klingen der Wächter“ spielt zeitlich zu Beginn des siebten Jahrhunderts. Die Hauptschauplätze der Handlung befinden sich alle im fernen Westen des Landes, wo sich viele Völker in Familienstämmen organisieren und große Allianzen bildeten. Der Handel über „die Seidenstraße“, welches ein weites Netz vieler Routen umfasste, florierte wie nie zuvor. Die in den kargen Landschaften lebenden Familienclans und rebellischen Volksstämme riefen auch in der tatsächlichen Historie Chinas mehrere Kampfeinsätze der Zentralregierung nach sich. So auch in dieser Geschichte, denn die Regierung möchte sich des Landes der Clans ermächtigen, ohne dabei militärisch allzu aktiv zu werden. Streng nach dem Motto: „Lasst sie untereinander kämpfen, wir befrieden dann, wenn sich keiner mehr wehren kann.“

Die Figuren

Copyright: Chinabooks.ch

Die Reihe beginnt mit einer großartigen Exposition unserer Hauptfigur, Daoma. Dieser ganz in schwarz gekleidete und stets einen kreisrunden ebenso schwarzen Kegelhut tragende Kopfgeldjäger reist durchs alte China um Verbrecher zu schnappen. Immer mit dabei ist sein Sohn Xiaoqi, der sich unter seiner großen Kapuze versteckt und farblich komplementär ganz in weiß gekleidet ist. Zusammen reiten sie durch die weiten Ebenen des chinesischen Westens. Innerhalb von wenigen Seiten wird klar, dass Daoma ein überragender Kämpfer sondergleichen ist. Er hat dies kühle Art mit seinen festzunehmenden „Klienten“ zu reden. Es lässt bereits Vermutungen zu, was er in seinem vorigen Leben vielleicht zum Lebensunterhalt tat.

So beginnt also die Reise dieses ungleichen Paars aus Vater und Sohn. Das Motiv des starken Beschützers und des moralisch einwandfreien und integren Schützlings ist bei weitem kein Neues, wie man beispielsweise in „Road to Perdition“ oder „Lonewolf und Cub“ par excellence sehen kann. Es funktioniert aber auch einfach zu gut.

Schnell wird klar, dass etwas nicht stimmt in den Strukturen des Landes. Die zwei Reisenden treffen auf korrupte Beamte, schlagen sich mit Banditen und Wegelagerern herum und geraten so schließlich an zwei weitere wichtige Figuren für diese Geschichte. Die Tochter des Familienclanoberhaupts der Mo, die begnadete Schützin Ayuya. Die Lebensweise des Clans der Mo, ist dem Charakterdesign und seinen Riten, eher einer muslimisch Kultur zuzuordnen. Daoma steht in einer Schuld gegenüber dem Familienoberhaupt Mo, daher die Arbeit als Kopfgeldjäger.

Eine weitere sehr wichtige, die Rahmenhandlung etablierende Figur, ist der maskierte Zhishilang. Sein Ziel ist es die Zentralregierung mittels einer Rebellion zu stürzen und er benötigt Geleitschutz in die damalige Hauptstadt Chang’an.

Erzählstruktur

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Im Grund ist diese Reihe absolut progressiv und stringent vorwärtsgerichtet. Nur einige wichtige Schlüsselmomente und Hintergründe werden dem Leser über Rückblenden oder erinnernde Erzählung gegenüber anderen Figuren eingefügt. Alle Hauptfiguren, es werden noch einige hinzukommen, bleiben tatsächlich sehr lange Zeit unklar in ihren Motivationen. Dies erhöht das Mysterium um einige Figuren immens und ist in keinem Moment störend oder verwirrend. Die Handlungen der Figuren, allen voran Daoma, sprechen für sich, vermitteln einen gewissen Kodex oder Ethos dem sie nach agieren. Dies reicht in vielen Situation absolut.

Spannend wird die Geschichte, wenn sie größer wird, als die Helden selbst. Die teils historischen Begebenheiten der Aufstände, werden vom Autor überspitzt und fiktionalisiert dargeboten und schrammen dabei die Mystik oder Fantasy. Die kulturelle Einbettung der Geschehnisse scheint so solide, dass man regelrecht annehmen könnte, dies sei ein historische Fiktion. Nicht etwa eine fiktive Geschichte mit historischem Unterbau.

Der Stil

Man muss sich ganz kurz vor Augen halten, dass diese Reihe das Erstlingswerk das Künstlers und Autors ist. Unter diesen Umständen ist es umso erstaunlicher, wie solide die Zeichnungen sind.

Die Figurendesigns sind super, mit Liebe für Details, die die Herkunft und den kulturellen Ursprung der Figuren preisgeben. In den bisher erschienenen fünf Ausgaben zeigte Xu Xianzhe einen wirklich fantastischen Stil, mit viel Dynamik in seinen Bildern. Kampfszenen sind zwar anfangs etwas unübersichtlich, aber mit so viel Schwung und mitreißender Energie gezeichnet, dass einem die Seiten unter den Fingern wegfliegen.

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Die Zeichnungen als solche sind nicht sehr typisch für Mangas. Eine „dreckige“ und „abgenutzte“ Art der Darstellung rückt die staubige und raue Atmosphäre dieser Lebenswelt in ein sehr überzeugendes Licht. Stellenweise ist dieser Manhua äußerst brutal und scheut es nicht Gewalt explizit zu zeigen. Es ähnelt manchmal sogar ein wenig einem Western. Dies hängt auch damit zusammen, dass Xianzhe wenig gebrauch von schwarz getuschten Flächen macht. Er versah sie mit Struktur und verdichtet so eine Oberfläche so weit, bis sie dunkel wird. Auch die häufige Verwendung von Schraffuren, die öfter wie mit Kohle- oder feinem Kalligraphiestift eingefügt aussehen, geben dem gesamten Look dieser Reihe seine unverkennbaren Stil.

Die Panelstrukturen und das Pacing (Erzählgeschwindigkeit) durch die Anordnung der Sprechblasen ist sehr vielfältig. Die Mischung aus konventionellem Raster, epischen Splashpages und kleinsten Bildausschnitten macht diesen Manhua so gut. Des Öfteren liest sich dieser Manhua und vor allem sieht so aus, als könnte man ihn direkt verfilmen. Adaptionen in Serien und Filmen wurden übrigens bereits angekündigt.

Fazit

Xu Xianzhe hat mit seinem Erstlingswerk die Messlatte für seine folgende Werke extrem hoch gelegt. Die atemberaubend dynamischen und filigranen Bilder reißen einen ebenso mit, wie die Hauptfiguren es schaffen. Es ist ein fulminantes Spektakel mit großen Schlachten, coolen Dialogen, einer gehörigen Menge an Heldenepos, großartigen Zeichnungen und einer sich mehr als authentisch anfühlenden Geschichte über den Kampf gegen ein System.

Bisher sind erst 5 der insgesamt 10 Bände bei Chinabooks erschienen. Der Schweizer Verlag ist spezialisiert auf chinesische Werke und hat den deutschen Lesern diese Perle aufbereitet. Die nächsten Ausgaben werden leider erst 2022 erscheinen, aber bis dahin sollte man „Biaoren – Die Klingen der Wächter“ definitiv gelesen haben.

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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