Crossover 1 – Kinder Lieben Ketten

22. März 2024
3 Minuten gelesen

Wer Comics mag, wird mit „Crossover“ voll auf seine Kosten kommen. Die von Donny Cates geschriebene Mini-Serie und von Geoff Shaw gezeichnete Reihe spielt mit einer Prämisse, die man sich als begeisterter Comic-Leser schon öfter vorstellte. Um diese Welt in Farbe und Form vollendet zu gestalten, arbeiteten Dee Cunniffe als Koloristin, John J. Hill als Designer und der Autor Mark Waid als textlicher Bearbeiter mit. Dieses Feuerwerk der Stile, Figuren, Ideen und Comic-Klischees erscheint in zwei Bänden in deutscher Übersetzung mit einer ausgiebigen Cover-Gallerie beim Splitter Verlag.

„Wer ist realer? Wir oder Superman?“

Copyright: Splitter Verlag

Es ist eine Welt voller bunter Helden. Sie sind beliebt, nahezu verehrt und werden in Multimedialen Erzeugnissen mit großer Freude konsumiert. Doch was passiert, wenn diese Welten plötzlich verwischen? Dies ist geschehen in der Welt von Crossover, denn am 11. Januar 2017 öffnete sich der Himmel über Colorado und das „Superhelden-Sommer-Event“ veränderte die Realität für immer. Aus einem Portal strömten Helden und Schurken der diversesten Realitäten. Vorweg muss man festhalten, dass die berühmtesten Superhelden wegen Lizenzrechtsverletzungen nur stilisiert werden und nicht gezeigt werden dürfen. Nichtsdestotrotz bedient sich Donny Cates am reichen Kompendium der Helden des US-Verlages „Image“. So lassen sich also „Invincible“, „Black Hammer“, „Astro City“, „Chew“, „Hit Girl“ und „I Hate Fairyland“ Referenzen entdecken. Denn dieser Comic ist randvoll mit Anspielungen und Easter-Eggs. Auch das berüchtigte Schwer Valofax aus „God Country“ findet sich in dieser ebenfalls von Donny Cates geschriebenen Geschichte wieder.

Nun hat sich die Welt, vor allem die nähere Umgebung Colorados in seiner Struktur grundlegend verändert. Die Sphäre der Comic-Fans ist massiv eingebrochen. Es geht sogar so weit, dass alles, was mit dem Thema Superhelden und Comics zu tun haben könnte, dämonisiert und wie bei einer Hexenjagd verfolgt und attackiert wird. Die Superhelden-Gegner nennen die Wesen und Menschen aus der Parallelwelt nur abfällig „Capes“. Nun zeigt sich die Hässlichkeit der menschlichen Natur in Hass, Ausgrenzung, Verfolgung und natürlich auch Inhaftierung der dem Portal entflohenen. Zum Schutz vor den Menschen formten die Superwesen im Laufe weniger Wochen einen Dom um das Stadtzentrum. Es hindert die Superwesen am Verlassen dieses Schutzgebietes.

Die letzte Bastion

Trotz der Radikalisierung der Bevölkerung bleibt ein Mann standhaft und hält die Kultur der 9. Kunst aufrecht. Otto, der bescheidene und von Optimismus geprägte Ladenbesitzer bleibt trotz der häufigen Anfeindungen durch die Extremisten seinen Platz. Auch Ellie, eine gute Freundin Ottos, plädiert für die Annäherung der beiden Kulturen. Man merkt schnell und offensichtlich mit welchen politischen und soziologischen Phänomenen hier hantiert wird, Stichwort: Kulturkampf.

Copyright: Splitter Verlag

Als plötzlich ein kleines Mädchen einen Comic klauen möchte, stellen Otto und Ellie schockiert fest, dass sie es mit einem Menschen aus dem Dom zu tun hat. Wunderbar dargestellt, in Anspielung an die frühen Comics, ist ihre Haut gefärbt mit Rasterpunkten. So lässt sich schnell erkennen, ob ein Wesen aus dem Dom stammt oder nicht. So wollen nun Ellie und Otto das kleine, verloren gegangene Mädchen zurückbringen und mit ihren Eltern wieder vereinen.

Zeitgleich setzt der vor dem Comicladen protestierende und radikalisierte Pastor seinen Sohn darauf an das Geschäft in Flammen zu setzen. Nach diesem Anschlag wird Ryan von Polizisten abgeführt und von einem Spezialagent mit einer geheimen Mission zurück geschickt. Er soll in den Dom, um dort jemanden zu töten, dabei solle er sich nach Ellie richten.

So verstricken sich nun diese zwei parallel laufenden Missionen und leiten so manches dramatische Ereignis in die Wege.

Ein Feuerwerk der Comic

Diese Serie protzt vor Klischees und inspirierten Anspielungen an das Medium Comic. Es ist bunt, es ist schrill und kontrastreich in Form und Farbe. Wie bereits angedeutet ist alles, was dem Dom entspringt, mit Rasterpunkten illustriert und in Superhelden typischer Weise in knalligen Farben koloriert. Die zahlreichen typischen Superhelden-Momente werden ihrerseits jedoch oft durch den Humor gebrochen, viel mehr als Einleitung genutzt, um etwas anders zu erzählen. So findet man auch hier „Splashpages“, die aber aber nur ein Panel ausmachen, weil sie anders verarbeitet werden.

Die Designs der Figuren und Charaktere weist im Kern eine gewisse Grobheit vor. So sind die Outlines mal dicker, mal dünner, die Konturen einiger Figuren häufig kantig, zur gleichen Zeit aber auch offen, einladend und sympathisch charmant. Man kann sich in dieser Reihe einfach nicht satt sehen, denn es ist so vieles zu entdecken. Es ist ein wahres Comic-Kunst-Feuerwerk.

Eine Comic-Meta-Bombe
„Crossover 1 - Kinder Lieben Ketten“ startet dynamisch in eine selbstreferenzielle Meta-Kritik der Gesellschaft und des Mediums Comic, wie man sie sonst nicht findet. Die Figuren und das Setting machen Spaß, sie sind vielschichtiger, als sie auf den ersten Moment wirken und sind dank der fantastischen Arbeit der Zeichnerinnen spritzig und lebhaft. Wie Donny Cates im Vorwort dieser Ausgabe bereits deutlich machte, ist diese Reihe eine Hommage an das Medium Comic und eine Verneigung vor all seinen Stereotypen und Klischees. Gerade deswegen kann man sich als Comic-Fan und Neueinsteiger so schnell und einfach mit diesem Werk verbinden. Es bietet Platz für Analysen und Interpretationen und kann sogleich einfach als sehr schön gestaltete Unterhaltung für einen Nachmittag dienen.
Pro
großartige Illustrationsideen
witzige Figuren
spannende Handlungswendungen
Kontra
Ein großes Spektakel, teilweise ausbleibende Substanz
9

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Über den Autor

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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