Jede gute Zombie-Geschichte beginnt mit einer starken Heldin. Gut, dass Tillie Waldens „Clementine“ alles verbindet was ein Drama in einer postapokalyptischen Welt braucht. Diese mit „Buch Eins“ betitelte Episode nimmt uns mit auf eine Reise in die Welt des Kult-Comics von Robert Kirkman: „The Walking Dead“. Der Vorlage ähnlich spielen die Zombies ab einer gewissen Zeit keine so große Rolle mehr. Es ist viel interessanter, welche zwischenmenschlichen Regungen, Probleme und Beziehungen entstehen. In diesem bei Cross Cult erscheinenden Hardcover, das sich unerwartet in einem schwarz-weißen Look präsentiert, finden sich außerdem einige Figurenentwürfe und eine illustrierte Liste der Arbeitsmaterialien Waldens.
Ein Holzbein und ein Freund
Die Geschichte beginnt in ruhiger und bedrohlicher Atmosphäre in Mitten eines Waldes. Clementine humpelt, auf eine Krücke gestützt, durch die Flora und tötet auf dem Weg einige der langsamen und scheinbar keine ernstzunehmende Bedrohung darstellenden Zombies. Erst als sie ihr einen falschen Schritt macht und ihr Holzbein bricht, sieht die Sache anders aus. Immobil, und unter stärker werdenden Schmerzen stehend, rettet sie sich an den Rand einer Lichtung. Ob nun wissentlich oder unabsichtlich, sie wird von einigen Mädchen entdeckt. Nach einigen anfänglich skeptischen Misstrauensbekundungen, lädt man sie ein und schickt Clementine prompt zum Dorfmechaniker für Prothesen. Sie erhält zum ersten Mal seit Monaten mit Arzneien, Tipps zum richtigen Binden des Verbands. Auch das Anlegen ihrer neuen individuellen Prothese erklärt der zugewandte Mechaniker ihr ruhig. Ganz kostenlos, nur aus der Sorge für das Gegenüber in dieser schweren Zeit.
Als sie wieder losmacht, um Richtung Norden zu ziehen, wird sie von einem äußerst naiven, dennoch frohmütigen jungen Mann überrascht. Dieser möchte zu einem Job reisen, ebenso im Norden. Mit seinem geliebten Pferd (in dieser Welt ist nicht üblich eine Bindung zu einem Tier aufzubauen), einer klobigen Holzkutsche und über 20 Hemden reist der junge Abel in den kalten und ungewissen Norden. Sich als Zweckgemeinschaft verstehend begeben sie sich auf die Reise. Die Zwei müssen schnell feststellen, dass sie ganz andere Erfahrungen und Perspektiven auf die Welt haben. Clementines Vorgeschichte erzählt Walden in ausgewählten Rückblenden, ihre Figur damit in kleinen Häppchen beleuchtend. Abels Realität war das von ihm geschilderte Dorfleben, nicht mehr oder weniger.
Mit dem Eintreffen und der ersten Begegnung mit den einzigen Überlebenden für diesen ominösen Job, wird schnell klar, dass fortan mit anderen Bandagen zu kämpfen ist. Die Drastik nimmt schlagartig zu. Die vorher so seichte, fast schon kindlich naive Reise der Zwei endet wörtlich mit einem Knall. Von nun an, sie wissen es nur noch nicht, kämpfen sie ums Überleben. Nicht jedoch gegen Zombies, sondern sich und die anderen. Eine spannende Sozialstudie, wie man sie aus so vielen Filmen und Büchern kennt, entspinnt sich.
Geschwungene Linien und seichte Formen
Komplementär zu der Lebenswelt der Protagonisten Clementine und ihrem Weggefährten Abel steht die Kunst Tillie Waldens. Ihre Interpretation einer postapokalyptischen Welt voller Zombies trifft einen Nerv. Die Panels sind atmosphärisch dicht, fokussieren sich jedoch auf das Nötigste und schweifen nie ab. Waldens Zeichenstil in diesem Werk weckt gewisse Assoziationen an franco-belgische Künstler der 70er und 80er Jahre. Dieser Eindruck verstärkt sich durch die vielen Details, wie Schattierungen und strukturierte Oberflächen, die alle mit unterschiedlich starken Tuschestrichen ausgeführt scheinen. Die Entwürfe der Figuren hingegen, wie man sie auch in den freigestellten Skizzen am Ende dieser Ausgabe bestaunen kann, strahlen eine gewisse kindliche Naivität aus.
Weiche und teils kindlich runde Gesichtsformen, gepaart mit den meist mandelförmigen Augen geben einem das Gefühl in einer Coming of Age Geschichte zu stecken. Dieser Eindruck wird allerdings schnell wieder verworfen, wenn Walden ihre Fähigkeiten zeigt Expressionen und Mimik perfekt einzufangen. Wir Menschen, als jeden Tag Gesichter analysierende oder zumindest betrachtende Wesen, sind darauf trainiert kleinste Regungen wahrzunehmen. Den Figuren dieses Werks hat Tillie Walden viele Facetten und feinste Mikroexpressionen verpasst, so dass durch wenige Worte ganze Stimmungen transportiert werden.
Hinzukommt, dass die gesamte Geschichte in einer monochromatischen Optik gestaltet wurde. Die Bilder changieren zwischen verschiedenen Grautönen, jeweils der Situation und Emotion angepasst, von tief dunklen Schattierungen bis zu hellen feinen Linien. Auch dadurch konstruiert die Künstlerin einen starken Eindruck beim Lesen, der sich manchmal als fühlbare Beklemmung äußert. Sie spielt mit dem Leser und ihren Figuren, den Bildern und Formen, immer zwischen den Welten Zombie-Apokalypse und Coming of Age tanzend.