Chinas Geschichte im Comic – China durch seine Geschichte verstehen – Band 2

Der Autor Liu Jing hat mit dem vierteiligen Comic über die Geschichte Chinas ein ambitioniertes Vorhaben unternommen. Ungefähr 5000 Jahre Geschichte und Mythen ranken sich um Chinas Genese und Jing Liu versucht diese in extrem geraffter Form in einer bebilderten Variante dem Leser des chinesischen Auslands näher zu bringen.

Das Spannende an diesem Comic ist zudem, dass diese gesamte Reihe, wie auch einige andere Veröffentlichungen des Verlags Chinabooks E. Wolf, in zweisprachiger Ausführung daherkommt. Die erste Hälfte des Comics ist in deutscher Sprache und die zweite in chinesischer.

Doch was passierte denn eigentlich im Zeitraum 220-907 in der geografischen Region, die wir heute China nennen?

Nachdem wir im ersten Band bereits über die „Fundamente der chinesischen Kultur“ lesen durften, entspinnt sich nun in diesem zweiten Band der Sachbuch-Comic-Reihe die bis heute stereotype geläufige Kultur „der Chinesen“.

Zum Ende der nahezu 400 Jahre andauernden Han-Dynastie (202. v.d. Zw – 220 n.d. Zw.) entwickelte sich eine Rebellion. Diese „Rebellion der gelben Turbane“ sollte das Land wieder einmal spalten und für viele Jahrzehnte würde es nicht geeint. Es herrschten drei große Reiche parallel und jeder dieser Herrscher sehnte sich nach der Alleinherrschaft über das ganze China. Jedoch erst 265 gelang es dem Familienclan der Sima nach mehreren Feldzügen gegen die anderen Herrscher eine Einigung zu erwirken. Die Jin-Dynastie herrschte nun bis 420 und hatte, trotz der dann eintretenden Spaltung in östliche und westliche Jin durch das Einfallen der stets bedrohlichen Nomadenvölker des Nordens, einen erheblichen Einfluss auf die Kultur. Die Barbaren nahmen die damalige Hauptstadt Chang’an ein, die dem aufmerksamen Leser des Chinabooks Verlages bereits aus „Biaoren – Die Klingen der Wächter“ bekannt sein dürfte. Die daraus sich veränderte geografisch-kulturelle Lage Chinas drängte nun mehrere Millionen Menschen zur Umsiedelung in den Süden. Dies sollte nicht die letzte Massenumsiedelung der chinesischen Geschichte sein, so viel sei gesagt.
Während dieser speziellen Situation eines zwar geografisch geteilten, aber dynastisch lose geeinten Chinas entstanden herausragende und ikonische Musik, Lyrik, Kunst, Kleidung, Architektur und Kalligrafie. Einige Werke dieser Epoche werden bis heute in den Schulen Chinas unterrichtet.

Als dann 420 eine entscheidende Schlacht am Fluss Fei siegreich für einen General der östlichen Jin-Dynastie ausging, nahm er dies zum Anlass, sich der Macht zu bedienen und eine neue Dynastie auszurufen. Dies wurde der Beginn der Südlichen und Nördlichen Dynastien, die beide den Anspruch hatten, Alleinherrscher zu sein.

Ein interessantes Nebenprodukt dieser vielen Jahre der Kriege und Migration, der Hungersnöte und der Verzweiflung der Menschen war das Aufkommen des Buddhismus. Einst aus Indien nach China mitgebracht, versprachen sich viele Menschen darin eine innere Ruhe und Frieden mit der Welt sowie einen bisher nicht bekannten Perspektivwechsel auf die Geschehnisse. Der Konfuzianismus (wie auch der Daoismus) waren die bisher geläufigen Lebensphilosophien. Sie sind zudem eher auf die weltliche Ordnung fixiert, wie sich in der kurzen Sequenz der Gegenüberstellung der Philosophien schön ablesen lässt.

„Konfuzianismus: Wir werden eine gute Regierung errichten, um das Leid zu beenden.

Daoismus: Leiden ist ein unausweichlicher Teil der menschlichen Existenz, lasst uns dies gelassen akzeptieren und lernen wir damit zu leben.

Buddhismus: Leiden ist ein Teil des menschlichen Lebens, aber man kann sich davon freimachen! Begierde ist der Ursprung allen Leidens. Deshalb soll man seinen Körper und seinen Geist spirituell formen, um Begierden zu entsagen und sich dadurch vom Leiden zu befreien.“

(Chinas Geschichte im Comic, Seite 61)

Innerhalb dieser kurzen Aussagen lassen sich mehr als deutlich die unterschiedlichen Herangehensweisen an das Leben mit anderen Menschen und mit sich erkennen. Jedoch auch offensichtlich ist, dass der Buddhismus eine introvertierte, sich selbst hinterfragende und forschende Perspektive einnimmt. Diese zwar sehr beliebte Philosophie des Entkommens des Leidens, indem man sich freimacht von Begierde, führte allerdings umgekehrt zu dem Buddhismus, den wir heute oft als DEN Buddhismus wahrnehmen, nämlich der Verehrung von Statuen, Reliquien und Ritualen, die im Kern nichts mehr mit den Lehren Buddhas zu tun hätten. Die Herrscher der nördlichen Dynastie instrumentalisierten den Buddhismus als Nationalreligion und gaben dem Menschen ein einfacheres Mittel, sich als Buddhist zu fühlen, ohne den ganzen anstrengenden spirituellen Weg gehen zu müssen. Es entstanden hunderte Tempel, riesige goldene Figuren und Mönche scharrten sich zu Tausenden in den Städten. Diese in China begründete Form des Buddhismus hat sich bis heute gehalten und wird weiterhin, wenn auch verändert, in Korea, Japan und China praktiziert.

Als Gegenbewegung entwickelte sich in der Dynastie des Südens der Daoismus zur „Staatsreligion“. Diese doch relativ wissenschaftliche, in ihrem Kern physikalisch-energetische Lebensphilosophie führte dazu, dass sich das noch heute bekannte „Fengshui“, „Qigong“, die traditionelle chinesische Medizin (oft TCM abgekürzt), die Lehren der Akupunktur und das so oft abgebildete Verhältnis von Yin und Yang entwickelten. Dieser sehr auf Energiekreisläufen basierende Ansatz verbreitete sich schnell und konnte auch von den herrschenden Eliten gut genutzt werden. Dies führte indes dazu, dass sich die Religionen, derer beide nun waren, konfrontierten und erbitterte Kämpfe austrugen. Der Daoismus gewann diesen Konflikt in China und es wurden viele Tempel zerstört und Mönche umgebracht und ihrer oftmals das arme Volk bildenden und unterstützenden Aufgaben beraubt.

Nachdem die in den folgenden Jahrhunderten aufkommende Dynastie der Sui entstand, die sich durch starken kulturellen Austausch mit den Nomadenvölkern auszeichnete, der dazu führte, dass sich Kleidung und Lebensart nochmals drastisch veränderten und es wieder gelang, China zu vereinen, kam es nach einer verheerenden militärischen Katastrophe auf der koreanischen Halbinsel zu einem weiteren Machtwechsel.

Die Tang-Dynastie (618-907), das Goldene Zeitalter, brach an. Chinas Staatssystem unterwarf sich abermals großen Reformen, der kulturelle Austausch wuchs mit dem fortschreitenden Handel mit dem europäisch-arabischen Ausland, die militärische Stärke war ungebrochen und den Menschen ging es „gut“. Natürlich war dieses „gut“ immer davon abhängig, in welcher sozialen Schicht man sich befand. Bauern ging es auch im Goldenen Zeitalter nicht wesentlich besser als in den vorherigen Dynastien. Auch diese Dynastie war nicht vor Konflikten und Intrigen gefeit, jedoch sind die Zusammenhänge oftmals so komplex und vielschichtig, dass sie in diesem Rahmen einer Rezension nicht untergebracht werden könnten. Es lohnt sich, dieses Comic einfach selber zu lesen, denn die Fülle der Fakten kann nicht in der Kürze dargestellt werden.

Der Stil und das Format

Der Comic ist in Schwarz-Weiß gehalten und es wird von links nach rechts gelesen; es ist also kein Manga oder Manhua.

Die Figuren sind oft schlicht entworfen, tragen jedoch alle ihre typisch stilisierten Eigenheiten wie Helme, Roben oder Accessoires, die stilprägend für die Zeit und Persönlichkeit waren.

Der Zeichenstil als solches ist tatsächlich sehr praktikabel, also ist rein unterstützend zum vielen Text konzipiert. Das Layout der Seiten ist an vielen Stellen auf Doppelseiten oder einer ganzen Seite ausgelegt. Auch in diesem Band werden viele Schaubilder, Grafiken, Landkarten und kleine Einschübe in Sprechblasen einzelner Nebenfiguren eingebracht. Diese wirken teilweise nebensächlich, sind es aber allzu oft geradezu gegenteilig.

Fazit
Der zweite Band von „Chinas Geschichte im Comic“ ist erneut gefüllt, an einigen Stellen übervoll, mit Namen, Dynastien, Herrschern, Konflikten und kulturellen Entwicklungen, die einen des Öfteren verwundern oder erstaunen lassen. Die Entwicklung der Religionen, Kleidung oder Lebensart sind sehr interessant und es könnte davon noch ein wenig mehr in den kommenden Bänden kommen. Die Lektüre ist keineswegs eine einfache oder beiläufige, denn möchte man wirklich etwas davon mitnehmen, sollte man sich dies wie einen bebilderten Ausflug mit einem Sachbuch vorstellen. Es ist nicht einfach „nur“ ein Comic. Wer dieses Buch kauft, bekommt geballte historische Fakten zur Entwicklung Chinas, die zeichnerisch aufgelockert einen komplexen Einblick in die Genese der Region China zulässt. Es ist erstaunlich, mit jeder weiteren Seite mehr Erkenntnisse zu gewinnen, die man in Bezug auf die europäische Geschichte allzu oft nicht beachtet oder überhaupt bekannt sind. Ein tolles Sachbuch-Comic für jeden Freund der fernöstlichen Kultur und Geschichte.
Pro
Extrem umfangreich und informativ; ein tolles Sachbuch-Comic für jeden Freund der fernöstlichen Kultur und Geschichte.
Kontra
Kein Hinweis auf zweisprachige Ausgabe, manchmal plötzlich überraschende Zeitsprünge.
10

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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