Seit die großen Flüchlingsströme 2015 zum ersten Mal medial aufgearbeitet und verteufelt wurden, schwelt dieses Thema in Europa. Die europäische Union und die das Mittelmeer angrenzenden Staaten ließen sich diesbezüglich viele juristische Besonderheiten einfallen. Einige dieser Methoden führen dazu, dass Seenot- und Menschenrechte massiv verletzt werden. Der in „Das Schimmern der See“ beschriebene Alltag der Seenotretter, wie Autor und Zeichner Adrian Pourviseh einer war, ist grausam und zeigt die harte Realität. Dieses Erstlingswerk, sowohl als Autor und Zeichner, dokumentiert einige Tage der Seenotrettung des Schiffs Sea-Watch 3. Erschienen ist jenes Werk mit aufklärerischem und aufrüttelndem Charakter beim Berliner Avant-Verlag.
Dunkelheit, Kälte und der Tod
Diese Graphic-Novel, obwohl es eher eine Dokumentation ist, basiert auf den Tagebucheinträgen Adrian Pourviseh. Jener war in seinem vorigen Leben kein Zeichner, kein Autor oder Aufklärer. Als gelernter Orientwissenschaftler und Entwicklungsökonom ist dieser geübt darin faktische und nüchterne Berichte zu verfassen, wenn auch eine gute Erzählung zu leisten. Dieses Werk hingegen ist alles andere, als gefühlsarm. Denn man muss sich über eines sehr klar werden. Es ist eine Geschichte über Ereignisse, die gerade in diesem Moment, zu dieser Zeit und diesem Jahr mehrfach geschehen sein können. Selten wird die Aktualität und Härte, mit der Zeitzeugen solche grauenvolle Ereignisse schildern, deutlicher, als mit einem Werk wie diesem. Die Warnung zu expliziter Gewalt und Tod am Anfang dieser Graphic-Dokumentation ist in jedem Fall begründet.
Nahezu die ganze Zeit über erleben wir die Ereignisse aus der Perspektive Adrians. Teilweise erhalten wir die für die POV (Point of View) typischen Hände, die ins Bild ragen, als wären sie unsere. So verstärkt sich die Wirkung und das Gefühl mittendrin zu sein. Jene erzählerische Methode schafft eine Nähe, die sich dann im Falle der Notsituationen zu größter Anspannung und Betroffenheit führen können. Der gezeigte Zeitraum umspannt nur wenige Wochen, ist teilweise tagesgetreu, da Pourviseh ein akribisches Tagebuch führte, wie er während der Buchpräsentation und Lesung auf dem Comix-Bad 2023 versicherte.
Ein Gefühl macht sich breit, das auch bis fast zum Ende dieses Werks nicht vergeht: die unbarmherzige Kälte und der immer drohende Kontakt mit dem Tod.
Kein gewöhnlicher Look
„Das Schimmern der See“ zeigt sich ambitioniert. Wenn auch der Stil nicht routiniert erscheint, was sicherlich daran liegen mag, dass dieses Werk das erste seiner Art für Pourviseh ist. Es kommt als eine Mischung einiger Szenen aus der Point-of-View, mancher kunstvoll eingesetzter Perspektiven um Enge und Beklemmung zu zeigen und einigen Schaubildern. Diese erklärenden Seiten reihen sich geschmeidig ein in die vor allem zu Beginn häufiger auftretenden Erläuterungen zum Rettungsvorgehen und natürlich den politischen Strukturen.
So verschwimmt der im Aquarell-Stil gehaltene Look von Das Schimmern der See, der so manche Notsituation zeigt, mit einer harten Kritik an der herrschenden Politik. Es fällt ab einem gewissen Punkt der Handlung schwer das wirkliche Grauen und das Entsetzen an die adäquate Stelle zu setzen. Denn sowohl auf menschlicher Ebene, vom Überleben und der Perspektive auf ein besseres Leben ohne Armut und Hunger getrieben, wie auch der gesellschaftlich-politischen Mechanismen, die von der Europäische Union und den das Mittelmeer angrenzenden Staaten genutzt werden, erzeugen ein tiefes Gefühl der Betroffenheit und der Abscheu.
Doch bleibt Pourviseh nicht dabei Mitleid zu erzeugen. Es zeigt eine Perspektive, zeigt Mut, den Willen ein Opfer zu bringen für eine Zukunft in einer für noch mehr Menschen gerechteren Welt und fragt die Lesenden, fast schon mit einem rhetorischen Imperativ was noch alles geschehen muss bis eine Veränderung eintritt.