Satire hat die Funktion der Gesellschaft mittels Überhöhungen und Ironie einen Spiegel vor zu halten. Die Verlegerin und Künstlerin Tina Brenneisen hat mit „True Stories – Marie Luis erzählt“ ein wundervoll witziges Comic über das Patriarchat herausgebracht. Auf den 96 Seiten, des in kräftigen Farben gedruckten Softcovers, beweist sie, dass eine kritische Auseinandersetzung mit solch diffizilen Themen auch auf humoristische Weise ganz schmerzfrei gelingen kann. Das Werk erscheint beim Berliner Verlag Parallelallee.
Drei Geschichten über das Frau sein
Bevor wir in die fantasiereichen Geschichten der Protagonistin Marie Luis eintauchen, werden den Lesenden drei Aussagen von Männern vergangener Epochen vorgelegt. Sie sprechen von einer sagenumwobenen Gestalt, das mystische Kräfte besäße und im Grunde ein unnützes Wesen sei. Es wird sich bestätigen, dass diese Herrschaften herzlich wenig von der Weiblichkeit verstünden.
Ebenso wie die drei Wissenschaftler, die zeitlich verortet in den 90er Jahren ihres Weges schreitend, eines Tages eine Frau am Strand entdecken. Diese in Fischernetzen eingewickelte Frau, Marie Luis, wird von den Herren in ihren Leuchtturm eingeladen, um sich dort von ihr ein paar Takte zum Wesen der Frau erzählen zu lassen. Und so beginnt Marie Luis zu erzählen.
Tina Brenneisen nimmt uns mit auf die Reise in verschiedene Epochen, geografische Regionen und kulturelle Eigenheiten. Durch die phantasievollen, überspitzten und häufig lügenreichen Worte der Protagonistin Marie Luis gefärbt, tauchen wir als Lesende in diese unterschiedlichen Welten ein. Schnell stellt sich heraus, dass die Geschichtenerzählerin eine sagenhafte Lügnerin und gewandte Erzählerin ist.
Leichtfüßig und erfinderisch
Diese Anekdoten spielen in drei zumeist indigenen Kontexten. Mit viel Erfindungsreichtum und stets spitzzüngiger Kritik wirft Marie uns in Geschichten, die von Gleichberechtigung und unterdrückter Freiheit handeln. Dass die auch heute aus guten Gründen weiterhin diskutierten Themen wie Täter-Opfer-Umkehr, eine ungerechte Arbeitsteilung im Patriarchat und soziales Shaming, das wiederum zu Radikalisierung durch den Verlust von Perspektiven führen kann, in diesem Werk Platz finden, erscheint somit mehr als schlüssig.
Allen Geschichten gemein ist eine leichtfüßige und minimalistische Art der Illustration und Kolorierung. Jeweils eine Anekdote der Marie Luis wird konsequent in wenigen, entweder komplementären oder kontrastierenden Farben gestaltet. Sich durch das Werk ziehend, findet man jedoch fast überall eine Spur orange-brauner Highlights oder gar das Bild dominierenden Elemente. Der Zeichenstil zeigt sich als karikativ und wie aus dem Handgelenk gefloßen. Dieser anatomisch freie, mimisch überzeichnete und in seinen Perspektiven meist eindeutige Stil lässt Erinnerungen an eine wild gewordene Version von bebilderten Geschichten deutscher Zeichner des vorletzten Jahrhunderts aufkommen. Jener Stil ist nun schon seit einigen Jahren schwer en vogue und lässt sich vermehrt in der europäischen, wenn nicht sogar explizit deutschsprachigen Künstler-Szene bemerken.