Der Kapitalismus ist die Wirtschaftsform, die in jüngster Geschichte den weltweit größten Einfluss auf die verschiedensten Gesellschaftsformen inne hatte. Es wird von einigen Kritikern dieser Tage polemisch als eine Quasi-Religion bezeichnet. Inwieweit diese für viele nicht anders vorzustellende Weltwirtschaft, ohne jene bekannte Art der Verteilung von Kapital funktionieren soll, wird in dieser Comic-Adaption diskutiert. Auf dem 2002 erschienen Monografie-Riese „Kapital und Ideologie“ von Thomas Piketty, mit seinen knapp 1300 Seiten, basiert dieser von Claire Alet und Benjamin Adam gestaltete Graphic-Essay. Das mit Klappbroschur bei Jacoby & Stuart veröffentlichte Softcover wirkt mit 176 Seiten zu knapp, um entscheidendes zu vermitteln. Dieser Eindruck täuscht.
Geballtes Wirtschaftswissen und Historie
Nun mag man vermuten, dass ein Werk wie jenes gänzlich untauglich sei, um es in grafischer Form rezipierbar werden zu lassen. Doch schon die ersten Seiten verraten, dass sich die Szenaristen einen Kniff überlegten die Fülle an historischen und wirtschaftswissenschaftlichen Abhandlungen zu verpacken. Wir folgen den Angehörigen einer französischen Familie über acht Generationen, beginnend vor den Unruhen der französischen Revolution, die bisherige Besitzverhältnisse für immer ändern wollten, bis ins Heute. So ergibt sich ein klar nachvollziehbarer Handlungsbogen, der zu denkwürdigen Zeitpunkten angereichert wird mit elementaren Konzepten und Entwicklungen des Kapitalismus.
Da die familiären Verhältnisse als Exempel für den Fortbestand dynastischen Wohlstands herhalten müssen, ergeben sich viele Einblicke in die Hintergründe heutiger bestehender Strukturen. Ein großer Teil der westlichen Welt profitierte (noch bis heute andauernd) demnach direkt oder indirekt von der Ausbeutung anderer Menschen. Ob es nun der Sklavenhandel war, der daraus resultierende Reichtum und schließlich Besitz von Immobilien, die fortan in die Erbmasse einflossen oder die privilegierten Umstände höherer Bildung und sozialen Standes. Diese Akkumulation von Faktoren wird in an Informationen reichhaltigen Texten, Dialogen, Schaubildern, Grafiken und Ausschweifungen umfänglich geschildert. Der vermeintlich geringe Umfang dieses Comics täuscht über die Fülle des dargebotenen Inhalts hinweg und lässt die Leserschaft mit Fakten anschwellenden Gedanken zurück.
Nicht zuletzt, weil der Autor der Vorlage im späteren Verlauf selber sogar noch zu Worte kommt und in einem Vortrag das Wort an die Lesenden richtet, wirkt dieser gesamte Comic sehr nahbar. Die zu vermittelnden Gedankenanstöße, der Anspruch das bestehende gründlich zu durchleuchten, wenn nicht sogar gänzlich zu hinterfragen, erreichen ihre beabsichtigte Effekte. Zumal die angebotenen Alternativen des französischen Wirtschaftswissenschaftlers Piketty zu einfach wirken, um sich derer Umsetzung gedanklich zu widersetzen.
Kontraste beleben
Das dem Cover der Vorlage nachempfundene Farbschema wurde auch bei diesem Werk treu adaptiert. Doch schon der Blick auf die Seitenränder lässt vermuten, dass sich der Illustrator Adam in dieser Adaption ausgetobt haben wird. Der diesem Comic zu Grunde liegende Stil lässt sich am ehesten mit Karikaturen vergleichen, wobei sich das „überzeichnet“ sein in Grenzen hält. Die Figuren zeigen alle prägnante Charakteristika und sind überdies hinweg auch noch greifbar. Zwar hegt ein Graphic-Essay wie jener keine großen rührseligen Emotionen, doch prägen diese Figuren und das allgemeine Design eine Atmosphäre einfühlsamer Sachlichkeit.
Das Spiel mit den Farben ist wohl am auffälligsten. Jedes Kapitel zeigt eine eigene Kolorierung. Zu Beginn noch, dem zeitlichen Rahmen angepasst, ist die Farbpalette eher zweifarbig, kontrastierend. Manchmal bleibt eine Szene oder ein Kapitel gar Monochrom und zeichnet so durch einen einzigen Farbton aus. Zum Ende dieses Werks, in die Moderne und das Jetzt bewegend, steigt die Bereitschaft im Stile des Expressionismus mit Kontrasten der Elementarfarben zu spielen. Diese visuelle Zerrissenheit und die Härte der sich voneinander abgrenzenden und kontrastierenden Farbflächen spiegelt die Ambivalenz der handlungstragenden Figur wieder. Sie erfährt von den Schatten der Geschichte ihres eigenen Reichtums und wird sich ihrer finanziell-soziologischen Privilegien bewusst.