Was braucht es für eine interessante und spannende Geschichte in einer neuartig anmutenden Welt? Man nehme alt bekanntes, mische dies mit modernen Themen und frage eine Zeichnerin, die unfassbare Bilder aufs Papier bringen kann. So könne man sich das Brainstorming dieser hier vorzustellenden Reihe erdenken. Es geht um die von Marjorie Liu geschriebene und Sana Takeda illustrierte Welt der „Monstress“. Diese Comicreihe erhielt kürzlich einen Weiteren der begehrten Eisner-Awards für die großartigen Zeichnungen der Takedas.
Schon 2015 wurde das erste Heft dieser High-Fantasy-Steampunk Reihe veröffentlicht. Drei Jahre später räumte Monstress ganze fünf Eisner-Awards ab, vier „Hugo Awards“ (Science-Fiction Society) und wurde das „Harvey Awards“ (Comic-Preis) des Jahres 2018. Ein sagenhafter Start für eine Reihe, die ausschließlich von den Kreativen geleitet wird, ein Creator-Owned Comic. Der Ludwigsburger Verlag Cross Cult hat sich die Lizenz gesichert und veröffentlicht sie in deutscher Sprache.
Die Presse sagt in vielen Stimmen, dass dieser Comic eine erzählerische Mischung ist aus „Game of Thrones“ und „Herr der Ringe“ in einer komplexen Welt, dominiert von Steampunkeinflüssen. Ob sie recht haben, werden wir nun versuchen zu erörtern.
Das Worldbuilding
In „Monstress“ zeigen uns Liu und Takeda eine matriarchalisch geordnete Welt. Kriege, politische Intrigen, doppelbödige Allianzen und ein alles durchdringender Rassismus prägt das Leben. Die Welt teilt sich in drei das Zusammenleben bestimmende Arten auf.
Die Menschen, die Arkanen (von den Menschen Dämonen genannt) und den Katzen. Die Arkanen sind humanoide Tiere, wie Tiger, Füchse oder auch Meeresbewohner, die frei von Verfolgung in Frieden leben wollen. Ein Großteil der Menschen jedoch versucht, seit der blitzartigen Zerstörung der Stadt Constantine, Wege und Mittel zu finden sich gegen arkane und göttliche Mächte zu verteidigen. Um dies zu verwirklichen „ernten“ sie die Körper der magisch begabten Wesen und stellen daraus Lilium her, ein für Arkanen giftiger Stoff. Den Menschen hingegen hilft es apokalyptische Waffen zu fabrizieren. Die Katzen stehen als Mittler und Beobachter über Allem und sind nahezu parteilos. Sie sind die Gelehrten dieses Kosmos und bildeten einst den Orden des Ubasti zur Wahrung der Weltordnung und Geschichtsschreibung.
Die Figuren
Maika Halbwolf, die Protagonistin und Tochter sehr mächtiger und einflussreicher Eltern, kämpft seit ihrer Kindheit ums Überleben. Ihr Schicksal ist es, einen der alten Götter in ihrem Körper zu beherbergen, dessen Macht sie über den Verlauf der Geschichte zu kontrollieren und verstehen lernt. Ihre treue Begleiterin ist das Fuchsmädchen Kippa. Diese furchtlose und liebevolle Art und Weise mit der durch Kriegstraumata verrohten Maika umzugehen, rettete ihnen schon so manches Mal das Leben. Ihre Rolle ist außergewöhnlich, denn sie scheint eine der wichtigsten Figuren in diesem Kosmos zu werden, obwohl sie so klein, naiv und schwach scheint.
Gemeinsam begeben sich die zwei Heldinnen in Schlachten, kämpfen Wortgefechte mit intriganten Kaiserinnen, Hexen, Generälen und Anhängern des Ordens der Cumea (ultrareligiöse Gemeinde, die Arkane „ernten“) aus. Es herrscht große Konkurrenz zwischen den adligen und arkanen Höfen, sowie der Föderation der Menschen. So kommt es in „Monstress“ zügig zu den ersten großen Schlachten und massiver Zerstörung auf allen Fronten.
Seinen Dämon verstehen lernen
Maika befindet sich im ständigen Kampf mit ihrer familiären Identität. Ihrem Ziel, die Artefakte einer Maske der alten Götter zu sammeln, steht manchmal ihr wahrhaftiger Dämon im Weg, der alte Gott Zinn. Die englische Aussprache dieses Namens deutet mehr als deutlich auf eine Anspielung zum „Sin“ oder auch „Sünde“ hin. Denn kein geringeres Verhalten, als eins voller abtrünniger Taten zeigt dieser Dämon. Schon frühzeitig in der Handlung führt ein unkontrollierter Ausbruch Zinns dazu, dass Maika einen weiteren Teil ihres Arms verliert. Der alte Gott verleiht ihr zwar unmenschliche Kräfte, fordert dafür aber auch ein Opfer. Eine weitere oft auftretende Komplikation ist das menschenfressende Verhalten des Gottes, das sich doch tatsächlich bisher nicht an Kippa richtete.
Damit nicht genug. Maika ist eine schwerst traumatisierte und von klein auf mit Kriegen, Diskriminierung, Folter und Sklavenarbeit innerlich morbide junge Frau. Ihr Weltbild ist skrupellos, dennoch herzlich. Ihre harte Schale lässt sie nur von wenigen beschädigen und zeigt denen ihren Kern. Sie ist ein von den Eltern psychisch und emotional miserabel behandeltes Kind, das sich in dieser brutalen Welt einen Platz erkämpfen will. Denn das Erbe ihrer Eltern lastet schwer auf ihren Schultern, welches sie sich versucht zu entledigen und ihrer eigenen Bestimmung zu folgen.
So etwas sieht man selten
Wenn man eines festhalten muss, dann ist es die absolut umwerfende und einzigartige Visualisierung dieser Reihe. Trotz der zumeist konventionellen Strukturen in Erzählung und Panelraster erlebt man eine Welt, wie sie die Final Fantasy nicht besser hätten erdenken können. Damit haben auch die größte Referenz und der Elefant im Raum einen Namen. Es sieht aus wie eine wesentlich härtere, schonungslos ehrlichere und erwachsenere Mischung der Final Fantasy Spiele 9 und 10. Die technologisierte Welt, die einen bäuerlichen Charme des irdischen 19. Jahrhunderts verkörpert, und Wesen, die an Fantasy-Spiele erinnern, sind allesamt so eindringlich in ihrer Darstellung.
Die Atmosphäre und Tonalität der gesamten Reihe lässt sich bereits beim Anblick der Cover erahnen. Es sind viele schwarze, goldgelbe, bläuliche und rötliche Töne involviert. In nur ein paar Szenen hellt die gesamte Stimmung auf und es werden satte, knallige Farben gezeigt. Dennoch ist es niemals vergleichbar mit einer quietschbunten Comicwelt der Superhelden. Selbst Batman wirkt dagegen manchmal wie eine zahme Pastorentochter.
Kritik
Aufgrund der hohen Komplexität und den großen Veröffentlichungsabständen fällt es häufig sehr schwer den Anschluss zu finden. Leider gibt einem diese Reihe keinen redaktionellen „Was bisher geschah“ oder „das letzte Mal bei…“ bevor die Handlung wieder einsteigt. Die Zusammenhänge und Nuancen der Beziehungen der Figuren werden erst im Verlauf der ersten Seiten wieder wachgerufen. Dies ist leider ein etwas größeres Problem als vorerst angenommen. Man verliert eine Menge Verbindung zu den Figuren, die Ereignisse sind zwar in ihrer Brisanz enorm, hinterlassen aber wenig, da die Figuren nicht mehr so greifbar sind.
Ein weiter Punkt ist das umfangreiche Worldbuilding. Dies ist als äußerst positiv zu bewerten, denn die Schöpferinnen haben einfach alles bedacht. Es kommt häufig vor, dass zwischen den Kapiteln ein Einschub eines Großmeisters der Katzen präsentiert wird. Teilweise doppelseitig und mit sehr viel Text beschreibt ein Meister der Ubasti, wie die Welt entstand, wie die Katzen zu dem wurden, was sie nun sind, wie die Götter einst auf der Erde herumwanderten und vieles mehr. Es bleiben keine Fragen offen und man wird in eine immer größer werdende Welt hineingesogen.