Bereits zum fünften Mal beweist „Lone Wolf & Cub – Master Edition“, warum dies wohl eines der stilprägendsten Manga Klassiker ist. Das von Kazuo Koike geschriebene und von Gôseki Kojima mit eindrucksvollen Zeichnungen und Malereien versehene Werk wirkt bis in die heutige Zeit. Filme wie „Road to Perdition“, „Logan“, „Léon: The Professional“ und auch Spiele wie „The Last of Us“ nutzen das Motiv des starken und unnahbaren Kämpfers, der sein Schützling durch eine harte und von Tod gekennzeichnete Welt führt. Der Stuttgarter Panini Verlag hat diesen mehrfach mit dem Eisner-Award ausgezeichneten Manga nun in einer massiven Hardcover Ausgabe neu aufgelegt. Diese knapp 2 Kilogramm schwere, 720 Seiten umfassende, mit abnehmbarem Umschlag und einem umfangreichem Glossar gefertigte Neuauflage sollte man sich nicht entgehen lassen. Vor allem für Fans des Samurai-Genre über 16 Jahren ist diese Reihe in Muss!
Getrennte Pfade, geeinte Wege
Kurz zuvor wurden der Protagonist Ogami Itto, der sich den Tarnnamen Kozure Okami (japanisch für „Wolf mit Kind“) gab, und dessen Sohn Daigoro getrennt. Sie sind gemeinsam auf dem Pfad der Verdammnis, der sie mit jedem weiteren Schritt aus der Welt der Lebenden führt. Um die Rache am intriganten Mord an seiner Frau zu vollstrecken, jagt Ogami den verantwortlichen Yagyu-Clan. Retsudo Yagyu, ein alter und unnachgiebiger Samurai niederträchtigster Natur, führt diesen Clan. Durch einen glücklichen Umstand gelangte der einsame Wolfsvater und Racheengel in den Besitz eines geheimen Briefs der Yagyu, der eine große politische Brisanz innehat. Während eines Kampfes wurden Ogami Itto alias Kozure Okami vom dreijährigen Daigoro getrennt. Nun wandeln beide für sich durch das Japan der Edo-Zeit (1603-1868) und wir als Lesende folgen ihnen auf ihren Irrwegen zurück zueinander.
Der kleine Junge Daigoro ist wohl die traurigste Figur aller Zeiten. Er wuchs mit dem Tod auf, entschied sich aus Liebe zu seinem Vater und wurde so selber zu einem wandelnden Geist seines Selbst. Mehrfach, wie auch in einer Geschichte dieser Ausgabe, sagt man über ihn, dass seine Augen den Limbusblick hätten. Er hätte schon zu viel Tod und Seelen auf ihrem Weg ins Jenseits gesehen, also etwas, das nur erfahrene äußerst disziplinierte Samurai am Ende ihrer Laufbahn erreichten. Seine Augen sind kalt, hart und zeugen von schwerster Traumatisierung.
Drei Jahre alter Samurai
So streift Daigoro durch das Land, hungert, aber bettelt nie und nimmt nichts geschenkt, gerät an Menschen, die sich ihm annehmen und ihn mit großer Fürsorge pflegen. Allerdings folgt ihm der Tod auf Schritt und Tritt und es kommt häufig zu kämpferischen Auseinandersetzungen und dem Aufbrechen lange schlafender Konflikte. Darüber erzählt Kazuo Koike oft von vergangenen Träumen, Wünschen und Hoffnungen des einfachen Volks, den Bauern und einsamen Menschen auf dem Land.
Kozure wird derweil vom Anführer der Yagyu, nach mehreren erfolglosen Anschlägen auf Okamis Leben, selbst zum Duell gefordert. Ihre Dialoge bieten eine der vielen Vorlagen für so viele Stand-Off-Dialogzeilen zahlreicher Filme bis in die heutige Zeit. Der nahezu unbesiegbare einsame Wolf wird nur leicht verletzt, hingegen er seinem Gegenüber, dem weißhaarigen Retsudo ein Auge aussticht. Sie werden im Laufe dieser Ausgabe noch Mal aufeinander treffen.
Kulturgeschichte zum Anfassen
Wie in knapp 60 Prozent aller Kapitel in „Lone Wolf & Cub“ dreht es sich nicht um den alles umspannenden Rachefeldzug oder politische Intrigen. Die Künstler Kazuo Koike und Gôseki Kojima befassen sich mit dem Leben, der Landbevölkerung und den Widrigkeiten der meist „ehrenvollen“ Samurais. So wird auch in dieser Ausgabe nicht viel Positives verlautet, wenn es um Werte wie Humanität oder Mitgefühl unter der Kaste der Krieger geht. Da Vater und Sohn auf ein Einkommen angewiesen sind, verdingen sie sich als Auftragsmörder. Kozure Okami mordet, Daigoro assistiert manchmal als Lockvogel oder beobachtet den Kampf von der Seite in gefasster Ruhe. Die oft sehr riskant, aber präzise kalkulierten Pläne berechnen die menschlichen Fehlbarkeiten ein und beweisen sich als Studie moralischer Entscheidungen. Beispielsweise wer sterben solle: die lügende Mutter, der unschuldige Mann oder das Kuckucks-Kind aus voriger Ehe? Zu wem ist das Gefühl am Größten und welche Auswege bleiben?
Viele der Geschichten, in dieser aber auch den vorigen Ausgaben, wirken daher oft wie eine Kulturgeschichte eines längst vergangenen Japans. Die vom Autoren angestrebte Darstellung des Bushido, also dem Weg des Kriegers und all seinen Tugenden, gelingt bis in die letzte Faser dieses 2 Kilogramm Wälzers. Dazu hilft es und gibt diesem Werk seine angemessene Würdigung nicht nur Cover, sondern auch die immer aufschlussreichen Glossare am Ende jeder Ausgabe zu studieren. Die Zeichenkunst und Malerei unterstützt dabei in Formen, Auswahl der Malereiwerkzeuge und benutzten Techniken bis zum Ende. Manche Panels sind weich und fließen im Aquarelllook über die Seiten, andere hingegen zeichnen sich durch harte Formen, scharfe Linien und präzise Perspektiven und Dynamik aus.