Mit seinem ersten großen Werk „Parallel“ hat Matthias Lehmann für viel Furore in der Comicszene gesorgt. Nun hat dieser sich, wie auch die Autoren Sascha Herrmann, Nina Hoffmann und Katja Klengel, einer Millieustudie anderer Art gewidmet. Die aus mehreren Kurzgeschichten bestehende Rahmenhandlung von „Zur Sonne“ wird jeweils aus der Perspektive einer anderen Figur gtragen. Sie alle eint der Ort ihrer Zusammenkunft, die Kneipe von Frank und der schwungvolle Zeichenstil Matthias Lehmanns.
Dieses liebevoll erzählte und wunderbar illustrierte Werk erscheint als Hardcover beim Reprodukt Verlag. Nicht nur die Qualität der Bindung ist hervorragend, auch die Druckqualität und der allgemein wertige Eindruck macht die Lektüre auf mehreren Ebenen zu einem Genuss.
Das Leben, die Liebe, Familie und Freundschaft
Frank ist der Besitzer und das Herz der Raucherkneipe „Zur Sonne“. Die Geschichte beginnt damit, wie dieser in seinen Laden kommt und feststellt, dass der Jahrzehnte alte Kühlschrank defekt ist. Die Zeit nagt an Allem. Außerdem erfahren wir schnell, dass er Opa geworden ist. Bisher schob Frank immer den Laden und seine Stammkunden, die nicht wissen wohin sie gehen sollten, als Ausrede vor. Seine Beziehung zu seiner Tochter scheint von Rissen durchzogen. Nun mit zunehmendem Alter und dem kräftigen Wink des kaputten Kühlschranks verändert sich seine Lage und zieht ein Schließung des Ladens in Betracht.
Im Laufe der folgenden Kapitel wird Frank in den Hintergrund treten und wie es ein guter Kneipier an sich hat, nur ins Geschehen treten, wenn Gefahr in Verzug ist oder jemand Hilfe braucht. Die Bandbreite der präsentierten Figuren ist groß. So tauchen wir in das von Verlustängsten geplagte Innenleben eines Metzgers ein, werden von einem erfolglosen Autor und noch Minderjährigen Mann in eine Welt aus Prostitution und psychischer Erschöpfung mitgenommen, lernen durch einen einfühlsamen Dialog wie Frank sein Freundschaften pflegt und dürfen beobachten wie in all diesen menschlichen Tragödien die Liebe seinen Platz findet.
Die Figuren und ihre Themen wirken zu keiner Zeit überzeichnet. Ganz im Gegenteil fühlen sich die Einblicke an wie aufmerksame Beobachtungen ganz authentischer Personen. Hatte man sich einmal ein paar Abende in der selben Kneipe herumgetrieben, fiele einem schnell auf, wie nah und fein erzählt diese Charaktere wirken. Nicht zuletzt wegen der fantastischen Illustration verstärkt sich dieser Eindruck einer wahrhaftigen Millieustudie oder einfach einer wachsamen Beobachtungsgabe der Autorinnen. Allerdings könnte dieses Werk noch ein paar mehr Charaktere beleuchten und somit noch facettenreicher beschreiben.
Monochrome Panels und farbenreiche Figuren
Der Strich des Matthias Lehmann ist dynamisch und schwungvoll. Die schlicht gezeichneten Figuren, wie auch die Szenerie, ist auf das Notwendigste reduziert und sind trotzdem nicht leer oder weniger bedeutungsschwer. Fast ausnahmslos lässt sich die Handlung ohne den Text verstehen und die Gefühle und Gedanken nachempfinden. Häufig sind die Figuren wegen ihrer nicht verarbeiteten Vergangenheit oder den aktuellen Lebensumstände von Trauer und Zweifeln dominiert. Es ist eine ganz eigenartige Chemie, die zwischen den Figuren wie von Zauberhand geschaffen wird. Trotz der monochrom, in meist drei Abstufungen von Schwarz, gehaltenen Darstellung, entsteht eine gewisse Wärme. Immer dann, wenn die Dunkelheit des Lebens weicht, sich die Menschen einander mit dem Herzen öffnen, strahlt ein lebensbejahendes Gefühl über die Seiten hinweg.
Die Struktur der Panels ist bis auf einige wenige Ausnahmen sehr regulär und streng. Dies scheint dem Leser, wie auch den Figuren, einen gewissen Halt zu geben, in einer Welt, die oft so grau scheint, wie die Aquarell kolorierten Panels es vermitteln mögen. Der lebendige Strich Lehmanns die Figuren erwachen, die sich jedoch in einer scheinbar unbelebten Umgebung bewegen. Die Reduktion der Details und das Auslassen so mancher Kontur lässt einen gewisse Weichheit zu, die im Kontrast zu den oft harten Lebensgeschichten steht.