![Virus Tropical Cover Parallelallee](https://www.huenerfuerst.de/wp-content/uploads/2023/10/Virus-Tropical-Cover-1024x576.jpg)
Wie ist es in Südamerika in den 80er Jahren aufzuwachsen? Welche Eigenheiten, Probleme und Konflikte haben die Teenager dieser Zeit beschäftigt? Die Künstlerin Paola Gaviria alias Powerpaola hat sich dieser, ihrer eigenen Biografie gewidmet und zeichnete uns dies in „Virus Tropical“ nach. So viel sei Vorweg genommen, die Konflikte sind heute wie vor tausenden Jahren eher zwischenmenschlicher Natur, also handeln von Liebe, Sex und Freiheit. Diese von Lea Hübner übersetzte Ausgabe erscheint als Softcover mit Klappbroschur und einem mit Spotlack bedruckten Cover beim Verlag Parallelallee.
„Das muss ein tropisches Virus sein!“
Dies hörte die Mutter Paolas, als sie wenige Jahre nach dem Umzug mit ihrem Mann und deren zwei Töchtern nach Quito, Ecuador, mit Übelkeit und wachsendem Bauch beim Arzt saß. Niemand glaubte daran, dass die sich zuvor die Eileiter hat abschnüren lassen nochmal Mutter würde. Und dann auch noch Mal einer Tochter.
Paolas Erinnerungen an ihre Kindheit und das Leben mit ihrer Familie scheinen lebhaft und sie nimmt uns als Autorin und Künstlerin mit in ihre Vergangenheit. Dabei stellen wir fest, wie sehr die vorige Profession ihres Vaters des katholischen Priesters, in das Familienleben überhängt. Außerdem erleben wir dank der thematischen Gliederung und schon recht chronologischen Erzählstruktur wie die Familie auseinander bricht. Die einzelnen Familienmitglieder leiden, verdrängen, trauern oder kompensieren ihre Situation und leben in all dem Wirbel ihr „ganz normales“ Leben weiter. Denn natürlich ist nichts „normal“ und die Erzählerin und Protagonistin Paola rast von einer Krise in die Nächste. Sei es anfänglich nur die erste unglücklich Verliebtheit oder schwerwiegende Lebensentscheidungen wie eine vermeintlich verfrühte Hochzeit oder ein ausufernder Drogenkonsum einer ihrer Schwestern. In Mitten dieses Tumults kann man beobachten, wie der Alltag, die Mode, die gesellschaftlichen Rituale und Normen in dann irgendwann Kolumbien vor nicht allzu langer Zeit gelebt wurden.
Dieser soziokulturelle Einblick in eine sehr persönliche Geschichte erlaubt es einem die Figuren und ihre Dilemmata vollumfänglich zu verstehen. Sie werden dadurch, ebenso ihrer schlichtweg sehr menschlichen Fehlbarkeiten wegen, zu wundervollen Figuren, die man gern begleitet.
Stilecht in den 80er Jahren
Dieser Comic, wie man es dem Cover bereits entnehmen kann, zeichnet sich durch einen Stil aus, den man eher in den Underground Comics der 80er Jahre in Großbritannien antreffen konnte. Der Look erinnert an Karikaturen, zeigt daher nicht unbedingt eine starke Räumlichkeit, Detailreichtum oder hat in irgendeiner Form den Anspruch anatomisch korrekt zu sein. Es soll Abstrahieren, Verfremden und so Raum für Interpretation und die Fantasie geben. Dies mag anfänglich ungewohnt, vielleicht sogar ungewöhnlich erscheinen, allerdings gelingt es Paola Gaviria ihre Figuren mehrdimensional zu inszenieren. An sich hemmt dieser Zeichenstil in der Darstellung von Dimensionalität, dennoch gelingt es eine Räumlichkeit zu eröffnen, eine Dynamik zu schaffen.
In den allermeisten Fällen sind die Szenen jedoch in Dialogen strukturiert. Doch selbst dabei kann Powerpaola mit ihrer Fülle an Linien, Schraffuren und Details überzeugen. Ihr bleibt auch wegen des Verzichts auf Farbe keine Option, um die Szenerie zu beleben. Manchmal mag daher der Eindruck entstehen, die Panels seien wirr und wild. Die Tonalität der Bilder unterstützt den Inhalt allerdings in jeder Situation.