Dieses Land: 150 Jahre neu erzählt

5. Dezember 2021
1 Min. Lesezeit

Eindrucksvoll, stark und mit festem Blick zeigt das Cover des großformatigen Hardcovers „Dieses Land“ eine indigene Frau. Daneben steht der Untertitel, positioniert über dem nordamerikanischen Kontinent: „150 Jahre neu erzählt“. Schon dies allein macht extrem neugierig. Schlägt man das bei bahoe books erschienene Werk auf, erwarten einen packende, traurige und schockierende Geschichten, die – immer auf historischen Quellen basierend – visuell aufbereitet wurden.

Jahre neu erzählt

Dem Untertitel wird diese Graphic Novel, obwohl es eher als Sachcomic oder Historiencomic zu beschreiben ist, in allen Formen gerecht.

Wirft man vor der Lektüre einen Blick in die Quellenangaben und die umfangreichen Porträts der Künstler:innen und Autor:innen, so wird einem schnell klar, dass dieses Werk mehr ist als eine Wiedergabe einer zumeist unbekannten historischen Entwicklung. Es ist die Ambition, den ungehörten und durch viele Jahre der systematischen Diskriminierung und Diffamierung ermüdeten Stimmen der indigenen Bevölkerung Kanadas eine Plattform zu bieten.

In zehn eigenständigen Geschichten aus unterschiedlichen stammesgeschichtlichen Perspektiven nähert sich das fast 20-köpfige Künstlerteam der eigenen Rolle und Historie im nordamerikanischen Kanada.

Begonnen wird zur Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Erschließung durch Eisenbahnen und stetig westwärts treibende weiße Europäer zu Konflikten führten. Berichtet wird von der massenhaften Entführung und Verschleppung von Kindern der Stämme, die in staatlichen Pflegeheimen mit westlichen Werten ausgebildet werden sollten oder schlichtweg ab von der Öffentlichkeit umgebracht wurden, wie sich Jahrzehnte später herausstellen sollte. Ebenso zeigen einige Kapitel den immerwährenden Protest, das Aufbegehren, die Standhaftigkeit gegen das mit Gesetzen unterdrückende System und die gleichzeitige Verbundenheit zu ihren Traditionen und ihren Herkunftsgebieten. Das Bewahren der eigenen Kultur gestaltete sich in den vielen Jahrzehnten teils nahezu unmöglich, jedoch ist es gelungen.

Sehr lobenswert und unbedingt nötig sind die jedes Kapitel einleitenden Worte des jeweiligen Autors, die von einem Zeitstrahl mit prägenden und wichtigen Stationen der zu erwartenden Geschichte untermauert werden.

Die Stil

Bis auf zwei Kapitel dieses Werks sind die Zeichenstile alle sehr unterschiedlich. Die Bandbreite reicht von einer der „Ligne Claire“ beeinflussten Illustration bis hin zu Collagen, die übereinanderliegende Ebenen zu zeigen versuchen. Allen gemeinsam sind jedoch die starke Verbundenheit und die zentralen Motive der Natur, Tiere und der kulturellen Symbolik.

Comictechnisch ist die große Mehrzahl dieser Kapitel recht konventionell umgesetzt. Klare Panelstrukturen stehen den oftmals sehr aussagekräftigen Bildern nicht im Wege.

Des Öfteren werden Dialoge zudem in Originalsprache der Mohawk, Cree oder Inuit abgehalten, die dann in einer Erläuterungsbox übersetzt werden. Ein weiteres Merkmal dieses historischen Werks ist die solide Quellenarbeit, die nachgezeichnete Bilder, zitierte Reden oder belegte Dialoge nummerieren und dessen Ursprung man sich im Anhang vergewissern und eigene Nachforschungen betreiben kann.

Fazit
Dieses Buch kann und sollte man empfehlen, vor allem für Schulen und Studenten der „American Studies“. Hierin werden schockierende, bis in die heutige Zeit anhaltende Umstände gezeigt, die schlicht und allein auf Ignoranz und Rassismus beruhen. Den Konsens zu finden, sich dieses schier endlose Land Kanada in Frieden teilen zu können, sich in seinen Lebensweisen nicht zu behelligen oder zu missionieren, kann man wohl – neben der Bereitschaft, für die eigene kulturelle Identität zu kämpfen -, als grundlegendes Motiv dieses Werks herausstellen. Jede Geschichte trägt sich fabelhaft weiter und bietet mehrere Ebenen der Betrachtung: Mystik, Gesellschaft, Rollenbilder, politische Strukturen, Mentalitätsgeschichte und der Wandel aller Dinge. „Dieses Land“ bietet umfassende Einblicke in die verschiedenen Phasen des indigenen Lebens und erarbeitet eine Perspektive, die leider sonst nur am Rande der Gesellschaft stattfindet.
Pro
Bietet umfassende Einblicke in die verschiedenen Phasen des indigenen Lebens und erarbeitet eine Perspektive, die leider sonst nur am Rande der Gesellschaft stattfindet.
Kontra
Nichts.
10

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Lars Hünerfürst

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