Dschingis Khan

23. Januar 2021
3 Minuten gelesen
dschingis khan cover

Nicht alles, was glänzt, ist Gold, es kann auch Silber und gleichzeitig ein grandioser Comic über eine historische Figur sein. Die Künstler Antoine Ozanam und Antoine Carrion (vorige Zusammenarbeit „Weisser Schatten“) haben mit „Dschingis Khan“, dem beim Splitter Verlag erschienenen Werk, eine atemberaubend mystische Reise in einen zeitlich und räumlich weit entfernten Kulturkreis gewagt.

Wer mit diesem Hardcover Buch, das mit seinem silbrig glänzenden Einband und dem fehlenden Klappentext sehr hochwertig aussieht, sowie unter dem Titel „Dschingis Khan“ eine historische Erzählung erwartet, wird hier allerdings enttäuscht. Es ist mehr als eine fantasievolle Erzählung des Mannes Temudjin, dem „Dschingis Khan“.

Die Handlung

Das in zwei große Kapitel aufgeteilte Werk beginnt mit der Geburt, die durch den Schamanen Ozbeg erst ermöglicht wurde. Dieser erfährt eine Vision über den Werdegang des noch nicht geborenen Kindes und er hört dessen Namen: Temudjin. Der Schamane eilt zur werdenden Mutter, die dem Schamanen die Geschichte, wie sie schwanger wurde, erzählt. Der „blaue Wolf“, ein Geistwesen, hatte sich (als Mann verwandelt) eine Nacht mit ihr verbracht. Doch es hat sich die Nabelschnur um den Hals gewickelt und das Leben des ungeborenen Halbgottes hängt an einem dünnen Faden. Nachdem Ozbeg ihr von seinen Visionen und erlangten Informationen aus der Geistwelt erzählt, zögert die werdende Mutter nicht und schneidet sich das Kind aus dem Bauch. Sie gibt ihr Leben für das ihres Kindes.

Man begleitet den schamanisch begabten Temudjin und den immer älter werdenden Ozbeg auf ihren Reisen durch die mongolische Steppe, von Auftrag zu Auftrag reisend. Dabei kann es Temudjin nicht abwarten, die nächste der spirituellen Geschichten über die Entstehung der Welt, der Sterne oder einiger Götter von Ozbeg zu hören. Während dieser gesamten Zeit ihrer gemeinsamen Reisen übt sich Temudjin im Kontakt mit der Geistwelt. Er sammelt Seelen in kleinen Schächtelchen und ihm gelingt es auch, einen unerwartet größeren Konflikt mit seinen Kräften zu schlichten.

Eine spirituelle Reise

Nachdem Ozbeg gestorben war, muss Temudjin allein durch die Welt streifen, jedoch nicht sehr lang. Er wird angegriffen von seinem „Vater“, dem „blauen Wolf“, und gerettet von einer weiteren Gottheit, die sich mit ihm körperlich und seelisch vereinigt. Fortan wird Temudjin sie mit sich in seinem Geist tragen, sie als Rückzugsort der seelischen Heilung benutzen und von ihr Hilfe beanspruchen.

Das Kind wird zum Mann und er ergreift sein ihm so lange schon geschildertes Schicksal: Er beginnt, die mongolischen Völker zu vereinen.

Es entspinnt sich eine Reise durch die unendlichen Weiten des mongolischen Reiches, mehrere mystische Begegnungen mit der Geisterwelt, Seelenreisen, Schlachten, Verluste und Wandel um den baldigen „Dschingis Khan“, das einstige Kind Temudjin, den Sohn des „blauen Wolfes“. Nur der „weiße General“ steht noch zwischen ihm und seiner Erfüllung des Schicksals. Dieser letzte große Kampf wird im zweiten Teil dieses eindrucksvollen Werkes beschrieben.

Das Format und der Stil

Der Splitter-Verlag hat mit diesem Buch eine von Anfang bis Ende stimmige und extrem überzeugende Erzählung veröffentlicht. Sie ist zwar keineswegs der Realität nah, aber den Anspruch hat es von der ersten Seite an nicht, denn alle Menschen haben blaue Haut. Diese anfänglich befremdliche äußerliche Eigenschaft wird schnell zur gewohnten Realität und es eröffnet dadurch viel mehr noch den Raum für spirituelle Begegnungen, da es wie in einer alternativen Realität zu der unseren stattfinden könnte und somit keine Grenzen definiert sind.

Die Zeichnungen und die Aufteilung der Panels sind ganz große Kunst, denn es fehlt nicht mehr viel und es könnte verfilmt werden. Diese Ähnlichkeit zu einem Storyboard macht die Geschichte sehr gut lesbar und es passiert das eine oder andere Mal, dass die sehr klaren und trotzdem atmosphärischen Bilder in den Hintergrund geraten, weil einen die Geschichte so voran drängt. Die Zeichnungen haben einen modernen Stil, der ausgeschmückte Hintergründe zeigt, klare Outlines präsentiert und nie zu viel in ein Bild packt. Es ist nie überladen oder anstrengend anzusehen, immer ästhetisch und geschmackvoll dem Sujet angepasst.

Die Darstellung der Geistwesen, die Illustration von Rauch und Nebel sowie die Szenen der spirituellen Wesen sind wundervoll ansprechend und passen sich perfekt in die darin aufgebaute Logik und Erzählung dieser Welt ein.

Jeweils am Ende der beiden Kapitel befinden sich zudem noch Skizzen, Charakterstudien der Figuren und noch nach den bisher geschilderten Ereignissen weiterführende Textzeilen, die teilweise auf Doppelseiten illustriert werden.

dschingis khan cover
Fazit
„Dschingis Khan“ ist eine spirituelle Reise in eine weit entfernte Kultur. Die Geschichten und Sagen, die darin erzählt werden, wirken allesamt authentisch und geben dem gesamten Comic ein Gefühl von Wahrheit. Obwohl diese Geschichte überzeichnet ist und Temudjin an keiner Stelle zeitlich eingeordnet wird, geschweige denn überhaupt klar wird, ob es sich um den Temudjin, den ersten großen Anführer des mongolischen Weltreiches handelt, ist dieser Comic eine fantastische und wundervolle Erzählung. Es inspiriert und begeistert, sich mit der Kultur und den Mythen auseinanderzusetzen. Die Motive, die sich darin finden lassen, sind absolut menschlicher Natur und zeitlos. Antoine Ozanam und Antoine Carrion haben mit „Dschingis Khan“ ein fiktives Werk einer historischen Figur der Extraklasse geschaffen. Eine unbedingte Empfehlung, sich dieses prall gefüllte und großformatige Hardcover zu besorgen.
Pro
Antoine Ozanam und Antoine Carrion haben mit "Dschingis Khan" ein fiktives Werk einer historischen Figur der Extraklasse geschaffen. Alles in allem eine schöne Sagengeschichte mit fantastischen Illustrationen und großartigen Figuren.
Kontra
Nichts.
10

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Über den Autor

Lars Hünerfürst

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