Requiem

4. März 2021
3 Minuten Lesezeit
requiem cover

Das „Requiem“ bezeichnet die Messe im Gedenken an Verstorbene. Über die vielen Jahrhunderte der christlichen Geschichte entwickelte sich auch eine musikalische Gattung, die diese Zeremonie adäquat musikalisch begleitete oder an ihrer Stelle aufführte. In beiden Fällen folgen die Werke einer festen Struktur, dessen sich der Autor und Zeichner Albert Mitringer bedient.

Mitringer nutzte das literarische Werk des Humberto Ramos. Dessen Werke wurden schon zur Zeit der Kreuzzüge (12.-13. Jahrhundert) den okkulten und mystischen Genres zugeschrieben.

Bereits die Gestaltung dieses beim Zwerchfell Verlag veröffentlichten Hardcovers macht mit seiner goldenen Verzierung, die an die Malereien mittelalterlicher Buchmalereien erinnert, viel her.

Die Handlung

„Sommer, Herbst, Winter und Frühling. Jedes Tier im Herzen folgt dem Rhythmus der Natur.

Hochmut, Fall, Verzweiflung und Hoffnung. Die Natur des Menschen aber folgt dem Rhythmus seines Herzens.“

Dies steht auf der ersten Seite. Darüber eine Krähe, die in Richtung einer Festung zu fliegen scheint. Diese Motive, die Struktur und der daraus entstehende Kontext ist diesem Werk zugrunde liegend. Aufgeteilt in die vier Jahreszeiten, komplementiert durch die menschlichen Emotionen, erzählt diese Graphic Novel von der Suche. Der Suche nach Vergangenheit, Heimat und Sinn.

Die Geschichte in Requiem beginnt damit, dass ein Skelett, durch die eingangs gezeigte Krähe berührt, wieder zu leben beginnt. Dieser schon lange verstorbene Ritter muss sich sogleich einem gewaltigen Ziegendämon stellen. Der Dämon ist auf der Suche nach einem Buch, einer Geschichte und einem Abschluss einer vor langer Zeit begonnen Reise. Unser Protagonist, das noch namenlose Skelett, schafft es, den Angriff des Dämons abzuwehren und begibt sich auf die Suche nach einem Platz, um zu rasten. Er wandelt durch eine von Kriegen und Tod verwüstete und gleichzeitig ausgestorben leere Welt. Der Ritter findet einen Ort der Ruhe und es treten die ersten lebhaften und gestalterisch komplett unterschiedlich illustrierten Szenen auf. Er erinnert sich langsam an sein altes Leben. Die Krähe erscheint ihm in seinen Erinnerungen und sogleich beschließt er, der Krähe in Richtung seiner Vergangenheit zu folgen.

Der Konflikt und die Suche

So gerät der Ritter in Konflikte mit anderen Fabelwesen (wie dem Basilisken, gigantischen aggressiven Krähen). Er erhält Rat bei einer Vampirin und ist schon bald nicht mehr allein. Die Suche seiner eigenen Geschichte, seinem Namen, dem Grund für sein Fortgehen und den Tod will er erfahren. Mitringer beschreibt in andächtigem Ton interessante Aspekte der Freuden und Leiden des Lebens und der Reue und Sehnsucht danach, wenn man einmal verstorben wäre. Die an die Jahreszeiten angepassten Stimmungen der Umgebung und das zu Anfang einleitende Gedicht werden vorzüglich verbildlicht und auserzählt.

Die menschliche lebenslange Suche nach Bedeutung und Sinn ist in diesem Werk eines der tragenden Motive. Immer wieder wird dem Ritter die Möglichkeit offenbart zu bleiben, seine Neugier und seinen Drang zu beenden. Jedes Mal wird er sich dagegen entscheiden und seinem Wissensdurst nachgehen. Darin ähnelt er dem Ziegendämon, der auch immer wieder auftreten wird. Es wird sich zeigen, dass ihre Wege sich bereits kreuzten, ohne dass sie davon wussten.

Der Stil

Wie bereits auf dem Cover von Requiem zu sehen, ist der Stil sehr detailliert, ausgezeichnet atmosphärisch in seinen Strukturen und mit hohem Aufwand aufs Papier gebracht worden. Die sehr klar entworfenen Figuren mit teilweise einfachen Merkmalen kommen in der Szenerie schön zur Geltung. Der Ziegendämon wirkt in vielen Szenen sehr bedrohlich und verkörpert alles, was einen angsteinflößenden Dämon ausmacht.

Die Landschaften und Gebäude sehen allesamt fantastisch aus. Aufgrund des zumeist schwarz-weißen Entwurfs dieser Graphic Novel wird die Dimensionalität und Atmosphäre durch viele Schraffuren, eng liegende, parallele Linien und kleinste Details wirkungsvoll erschaffen. Allerdings wirkt im Besonderen eine Kampfszene, eben wegen der vielen einzelnen Schraffuren und strukturierenden Linien, recht unübersichtlich. Mitringer erschafft, nach der Vorlage Ramos‘, eine authentisch fantastische Welt der Mystik und Fabelwesen, wie man sie aus mittelalterlichen Texten erwartet.

Die Panelstrukturen in Requiem sind wechselhaft. Kleine Bildausschnitte reihen sich in große Splashpages sehr gut ein. Je nach Erzähltempo und Geschwindigkeit der zu erfahrenen Eindrücke wird die Aufteilung der Seite adäquat gewählt.

Die Ausnahme in der Gestaltung sowie dem Zeichenstil bilden die Erinnerungen des Ritters. Diese sind rahmenlose Aquarellmalereien, die farbenprächtige und in ihrem Design weiche Formen zeigen. Der Kontrast ist, da auch die Erinnerungen oft unvermittelt auftreten, immens und lässt einen häufig ebenso überrascht zurück wie den sich erinnernden Ritter. Es ist mal eine schöne Abwechslung und gleichzeitig ein stilistischer Kunstgriff, die Erinnerungen nicht wie gewöhnlich in Sepia oder Grautönen präsentiert zu bekommen. Somit verstärkt sich die Sehnsucht des Protagonisten und der Leser:innen – auch gestalterisch untermauert – nach dem Leben und den Erinnerungen vor seinem Tod. Darin liegen schlussendlich die Momente der wahren Gefühle, der Trauer und der Freude.

requiem cover
Fazit
Albert Mitringer hat mit „Requiem“ einen mutigen Schritt ins Mystische gemacht und ist künstlerisch anspruchsvoll auf festem Boden gelandet. Atmosphärisch dicht, zeichnerisch aufwendig und hochwertig entführt uns der Künstler in eine Welt längst vergangener Weltanschauung und dennoch immerwährender menschlicher Motive. Umso spannender ist, dass das Ausgangsmaterial von besagtem Autor des frühen Mittelalters stammt. Die gesamte Aufteilung des Werks, die jeweiligen Kapitel (mit einem thematisch einleitenden Gedicht bekräftigt) und die Entwicklung der Figuren machen diese Graphic Novel zu einer anregenden Lektüre.
Pro
Albert Mitringer hat mit "Requiem" einen mutigen Schritt ins Mystische gemacht und ist künstlerisch anspruchsvoll auf festem Boden gelandet. Atmosphärisch dicht, zeichnerisch aufwendig und hochwertig entführt uns der Künstler in eine Welt längst vergangener Weltanschauung und dennoch immerwährender menschlicher Motive.
Kontra
Die Actionsequenzen wirken unübersichtlich.
8

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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