Roaming – Fünf Tage in New York

Das Leben als adoleszenter Mensch ist kein unkompliziertes. Vor allem dann nicht, wenn Freundschaft, Liebe und Karriere in einem bunten Gemengelage zusammenkommen. In ihrer unvergleichlichen Art haben Mariko und Jillian Tamaki die Graphic Novel „Roaming“ erschaffen, worin sich eben jenen Themen gewidmet wird. Hinzu kommt, zu diesen zumeist schon komplizierten Aspekten des heranwachsenden Menschseins, eine Auseinandersetzung mit nicht heteronormativer Sexualität. Diese Fülle an Inhalten haben die Cousinen Tamaki in diesem abgeschlossenen Werk bearbeitet. Der Berliner Verlag Reprodukt hat sich diesem weiteren Werk der Tamakis angenommen und in einer dicken Softcover-Ausgabe auf den Markt gebracht.

Der erste Frühling

Das erste Semester ist erfolgreich abgeschlossen und es ist Zeit einem lang gehegten Traum nachzugehen: ein Urlaub in New York. So treffen sich die Freundinnen Dani und Zoe, die zusammen die Highschool besuchten in der Stadt, die niemals schläft. Zu Zoes Überraschung brachte Dani eine Kommilitonin mit, Fiona. Sie scheint eine selbstbewusste, coole (vielleicht auch kalte) und wortgewandte junge Frau zu sein, die sich den beiden Freundinnen anschließen möchte. Also beziehen die drei ihr Hostel und machen sich sogleich auf die Stadt zu erkunden.

Schnell stellt sich heraus, dass die Figurendynamik der beiden Freundinnen durch die wiederholt zynische Fiona aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Fiona strotz vor Attitüde, Protest und einer gewissen Selbstgefälligkeit, die auf die unsichere Zoe magisch anziehend wirkt. Zoe und Dani sind beide von Einwanderern aus Korea und Japan. Diese Thematik wird nicht in Breite, jedoch immer wieder am Rande, diskutiert. Der Unterschied in der Fremdwahrnehmung, die stereotypischen und teils immer noch rassistischen Urteile über die in Nordamerika geborenen jungen Frauen, kratzte über die Jahre an der Psyche.

In der Hitze der Stadt

Es erscheint daher unausweichlich, dass sich Zoe in den Bann der „all-american“ Fiona ziehen lässt. Sie scheinen sich zu befreunden, wobei Dani, ihre eigentlich beste Freundin, zusehends als das dritte Rad am Wagen ihren eigenen Plänen folgen soll. Die Gruppe beginnt in ihrer Dynamik schärfer und separierter zu werden, vor allem da sich Fiona und Zoe eines Nachts das Bett teilen. Dieser Vertrauensbruch und das Überschreiten jener Grenze markiert für die Freundschaft der beiden Initiatorinnen dieses Treffens einen ersten großen Konflikt. Dani ist die wirklich tragische Figur, die einem beginnt Leid zu tun.

Zwischen all diesen Auseinandersetzungen, Verletzungen, Enttäuschungen, Freude, Verliebtheit, Lust und Übermut nehmen uns die Figuren mit auf eine touristische Reise durch die Stadt. Gemeinsam mit den Figuren besuchen wir den Central Park, die Central Station, das MET Museum of Arts und viele weitere berühmte Sehenswürdigkeiten. Doch rücken diese vielen glitzernden und markanten Orte häufig in den Hintergrund, wenn es um die Beziehungen und das Zwischenmenschliche geht.

Zwei Farben einer Medaille

Wie auch schon in „Ein Sommer am See“ zeigt sich Jillian Tamakis einzigartiger und von hohem Wiedererkennungswert geprägter Stil. In dieser Graphic-Novel zeigt sie abermals, dass es nicht viel braucht, um Atmosphäre aufzubauen und den Figuren, der Handlung und der Szenerie ein Gefühl zu verleihen. Hingegen der bereits genannten Arbeit „Ein Sommer am See“ nutzte Tamaki nun die Duochromatik, als Farbstil. Das ganze Werk zeigt sich ausschließlich in den Kontrastfarben Blau und Orange. Wie bereits das Cover zu verstehen gibt, sind jene Farben eher den Pastelltönen zuzuordnen. Diese Reduzierung in der Kolorierung scheint limitierend, doch nur um sich von Jillian Tamaki eines Besseren belehren zu lassen. Der bezaubernde und häufig minimalistische Einsatz dieses Spiels der Farben zeigt auch in diesem Werk, wie man Kolorierung neu denken kann. Es braucht nicht viel, nur an der richtigen Stelle.

Unter dem selben Credo könnte man auch die Gestaltung dieses Werks beschreiben. Die Figuren sind auf das aussagekräftige Minimum reduziert, weich und verspielt in ihrer Formgebung und werden des Öfteren in abstraktere, gar experimentelle Designs geworfen. In Szenen des Traums, der Ekstase oder andere Emotionen brechen die Illustrationen mit ihrem sonst eher realitätsbezogenen Look. Es gelingt Jillian Tamaki die von ihrer Cousine verfasste Geschichte ergreifend und mit viel Energie zu illustrieren. Wohl nur wenige andere Künstlerinnen schaffen einen solch lebendigen Eindruck einer Stadt in nur zwei Tönen zu kreieren.

Bunt und atmosphärisch, zum Trotz nur zwei Farben
„Roaming“ ist eine Reise voller Herz in die nie schlafende Stadt der Träume. Diese Coming-of-Age und Liebes-Freundschafts-Story wirft einen zurück in den Tumult eines Daseins mit Anfang 20. Zwischen Zukunftsängsten, Verliebtheit und Findung einer eigenen Identität verhaftet, reist man mit den Figuren in diese neue unbekannte Welt. Die liebevoll geschriebenen Figuren bilden das Herz dieser Geschichte. Es ist eine nette und überschaubare Story, die sich sicherlich optimal auch für ein jüngeres Publikum der Pubertät eignen würde.
Pro
liebevoll geschriebene Figuren
spannende Illustrationen
Kontra
eine eher schlichte Coming-of-Age Story

Über Hünerfürst.de

Einer der bekanntesten deutschen Netzkultur Blogs seit 2009. Nils Hünerfürst und seine Familie schreiben hier auf Hünerfürst.de über Technik, Kultur, Essen und Videospiele.

Über den Autor

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

Sportwetten Tipps von Overlyzer