Der Post-Kolonialismus hat erst in den letzten Jahren auch in der europäischen Öffentlichkeit stattgefunden. Dank der Diskussionen um Raubschätze, die bis heute selbstverständlich als Eigentum in Museen ausgestellt werden, gelangte diese Debatte zurück ins kollektive Bewusstsein. Denn die Tatsache, dass die Ausbeutung und massive Ungleichheit zwischen ehemaligen Kolonien und westlichen Mächten besteht, lässt sich allein durch die anhaltende wirtschaftliche Ausbeutung der vorhandenen Ressourcen belegen.
Einen ganz anderen Ansatz hingegen wählten Carol Férey und Corntin Rouge, die mit ihrer Graphic-Novel „Sangoma – Die Verdammten von Kapstadt“ den immer noch bestehenden innerkulturellen Konflikt betrachten. Sie erzählen in dem bei Splitter erschienenen One-Shot davon, wie transgenerationelle Traumata und ein modernes Leben vor dem kulturellen Erbe in der Nähe von Kapstadt ablaufen könnten. Diese Geschichte ist natürlich rein fiktional und hat wenn überhaupt nur zufällige Ähnlichkeiten mit Menschen dieser Region.
Gar nicht lang her
Erst 1994 endete die Apartheid in Südafrika. Diese von weißen Koloniemächten installierte Rassentrennung sorgte und trägt bis heute für immense politische und soziale Ungleichheiten. Der Beginn der Demokratisierung nach dem Ende der Apartheid ist ein anhaltender und wie wir in Europa gerade zu spüren kriegen, selbst seit längerem Bestehen keine Garantie für Extremismus und einen Rückfall in faschistoide Strukturen.
Dieser Comic beginnt in der Vergangenheit, als die weißen Plantagenbesitzer ihre wie Sklaven gehaltenen Arbeiter mit Hunden verfolgen ließen. Mit Prügelstrafen vor der Gemeinschaft erniedrigen die weißen „Herren“ legen und Konflikte für die Zukunft. Der Sohn des geprügelten Feldarbeiters und die Tochter des Landbesitzers blitzen sich mit ihren verachtenden Blicken an. Ein Zeitsprung ins jetzt verrät, dass sich die Machtpositionen nicht geändert, wenn auch scheinbar weniger hierarchisch sind. Nelson, der Sohn des in der Exposition ausgepeitschten ehemaligen Sklaven, führt nun die mittlerweile als offiziell angestellte Arbeiter zu einem Protest gegen die Betreiber der Farm, namentlich Eva, die Tochter des Landbesitzers. Deren gemeinsame Geschichte und die allgemein aufgeladene Situation, also der in der Lebenszeit veränderte Umstand vom Sklaven zum Mitarbeiter, bietet unglaubliches Potential, was von Férey und Rouge fantastisch umgesetzt wird.
Der Polit-Krimi beginnt
Die ganze Geschichte kommt aber erst so richtig ins Rollen, als Nelson das kürzlich verschwundene Baby auf einem der Felder findet. Es ist tot. Aus bis dahin unerfindlichen Gründen wendet er sich an einen Kollegen, konfrontiert ihn und fragt, ob er eine „Sangoma“ gemacht hat. Es eskaliert, woraufhin der Kollege Nelsons Stunden später als ebenfalls tot ist. War es Nelson? Zeit für den Lieutanent Shepperd einige Ermittlungen anzustellen. Dieser ist selber keine Unschuldslamm, auch wenn die Wahl des Namens dieser Figur als Hinweis auf eine mögliche Rolle in dieser Geschichte deuten mag. Er führt eine Affäre mit der Tochter eines der wichtigsten Politiker, der die Rechte der schwarzen Bevölkerung vertritt. Im Parlament stehen wichtige Abstimmungen an, Gesetze sollen reformiert werden und der erbitterte Kontrahent, ganz selbstverständlich ein weißer Mann mit niederländisch anmutendem Namen Van der Wiese, wirft dem Parlament Korruption und Misswirtschaft vor.
Diese Gemengelage, das Pulverfass aus sozialen Konflikten, einem Mord, der politischen Situation und den vielen persönlichen Konflikten bietet mehr als reichlich Stoff für diese Graphic-Novel. Eine gute Balance zu finden, die Handlungsfäden sinnvoll zu verknüpfen und gleichwohl Kritik am System zu äußern gelingt dieser Graphic-Novel außerordentlich gut. Lose Enden werden zur richtigen Zeit aufgegriffen, Verbindungen geschaffen, die Überraschen und eine Rahmenhandlung erzählt, die viel mehr über die sozialen Umwälzungen und Status Quo, als den eigentlichen Kriminalfall erzählen.
Ein visuelle Studie der Region
Die Bilder von Corentin Rouge, die mit der Hilfe des Koloristen Alexandre Boucq, diese häufig unbekannte Lebenrealität und Region zu beleben vermag, sind fantastisch. Man kann nicht abstreiten, dass der franco-belgische Einfluss in ihrer Art und Weise zu illustrieren in diesem Werk sehr prominent ist. Klare Linien der Figuren, dezente Schraffuren und strukturgebende Punkte und Linien in der umliegenden Umgebung und Perspektiven, die sehr an einen Noir-Krimi erinnern, erschaffen eine wahrlich authentische und lebendige Atmosphäre. Auch die doppelseitigen Ansichten der Region und der Slums wirken mit so viel liebe für das Detail und erscheinen daher schon fast wie von Fotografien übersetzte Zeichnungen.
Das Spektrum der Farbpalette ist allumfassend, je nach Szenerie und Akteuren angepasst. Auffällig ist die abgeschwächte Sättigung der Kolorierung, weg von knalligen Farbschlachten, hin zu einem organischer und realistischeren Ansatz. Jene Art zu kolorieren, in Verbindung mit den exzellenten Zeichnungen von Expressionen, Szenerien und auch der gut inszenierten Action, machen diese Graphic-Novel zu einer umfangreichen und überaus gelungenen Geschichte.