Mit dem Manga „Blood on the Tracks“ hat Shuzo Oshimi etwas geschaffen, das auf vielen Ebenen beschäftigt. Die 2017 in Japan gestartete Reihe fand Anfang September mit 153 Kapiteln einen Abschluss. Diese Reihe begeistert weltweit Kritiker wie auch Fans. Das Cross Cult Imprint Manga Cult verlegt diesen Genre-fluiden Titel in deutscher Sprache. Bis dato sind 10 Ausgaben der Psycho-Horror und morbiden Coming-of-Age Geschichte beim Verlag angekündigt. Wer keine Kapazitäten in seinem Leben für psychische Gewalt in fiktiven Geschichten hat, dem sei von diesem Titel abgeraten. Allen anderen sei empfohlen sich dieser Reihe dringend zu widmen und von den eigenen häufig konträren Gefühle verwirren zu lassen.
Vom Regen in die Traufe
Im vorigen Band wurden der Protagonist Seiichi und seine kürzlich gefundene Freundin Yuiko von der psychopathischen Mutter Seiichis konfrontiert. In Mitten eines Maisfeldes stellt sich Yuiko ihr in den Weg, beschützt Sei und vertreibt die sich vor Wut den Finger blutig beißende Mutter Seiko. Das junge Paar flieht zu Yuiko nach Hause, wo sie sich in ihr Zimmer schleichen. Sie beschreibt ihren Vater als in Ansätzen missbräuchlich, was die Spannung dieses Unterfangens, also dabei unbemerkt zu bleiben, erheblich aufregender macht.
Yuikos überzeugende Worte motivieren den von Selbstwert und der Wahrung eigener Grenzen befreiten Sei mit ihr in ihrem Bett zu schlafen, anstatt auf dem Boden des Zimmers. Während sie sich physisch näher kommen, blitzen immer wieder Erinnerungen und Bilder der vorherigen Intimitäten mit seiner Mutter durch Sei’s Kopf. Eine extrem disfunktional entwickelte Verbindung von Sexualität und emotionaler Nähe erzeugt sichtbaren Schmerz trotz des eigentlichen Wohlempfinden in Yuikos Armen. Als sie ihn dann schlussendlich küsst zerreißt es den Teenager fast. Das Ergebnis seiner Erregung bemerkt Sei am nächsten Morgen, als eine ihm unerklärlich klebrige Flüssigkeit in seiner Unterwäsche.
Eine weitere unerwartete Überraschung ist das unangekündigte Erscheinen Seikos am frühen Morgen. Sie steht aufgelöst vor dem Haus der Familie Yuikos und erzählt dem Herren des Hauses vom plötzlichen Verschwinden ihres Sohns und der Freundschaft zu dessen Tochter. In einer theatralischen Darstellung, unter Tränen, kippt die missbräuchliche Mutter ihr Herz und Vergangenheit aus. Sie selber sei ein ungewolltes Kind und wolle daher alles, was sie nie erhielt ihrem Sohn schenken. Ob sie davon ausging, dass Seiichi alles mithörte, kann man nicht sagen, ihr zuzutrauen wäre es. Dass er nach diesem Monolog seiner Mutter in seiner Willensstärke brechen würde, scheint nicht verwunderlich.
Ein zweischneidiges Schwert
Das große Talent Shuzo Oshimis ist mit seinen Bildern mehr als tausend Worte auszudrücken. Während der gesamten Ausgabe nutzt er die für seinen Stil typischen Super-Close-Ups, um Anspannung und Unbehagen beim Lesenden zu erzeugen. Die Art und Weise mit Schattierungen und Schraffuren zu nutzen verstärkt die Wirkung der Perspektiven immens. Man bewegt sich die ganze Lektüre atmosphärisch zwischen einer prickelnd, aufgeregten Teenagerromantik und der ständig überschattenden Bedrohung einer Konfrontation mit der Mutter. Hinzukommt, dass die Darstellung des Horrors und Schocks in seinen Figuren mit großen aufgerissenen Augen immer wieder in den richtigen Momenten größte Abscheu erzeugen. Der Absurdität und der Unnatürlichkeit dieser Mimik geschuldet, kommt einem beim Lesen häufig ein Gefühl des Unbehagens auf
Diese zwiegespaltene Lesart macht jene, wie auch vorige Ausgaben, zu einem echten Suchtmittel. Kaum hat man die Lektüre begonnen, so ist sie auch schon vorüber. Dies kann auch an den häufig wortlosen Seiten liegen, die ihrerseits einen großen Anteil an der Gesamtwirkung haben. Gerade weil dieser Manga so visuell ist und hauptsächlich mit Bildern ausdrückt, was den Figuren an Worten fehlt, kann dieser Manga sicherlich fantastisch als Anime umgesetzt werden.