Die Sphäre des organisierten Verbrechens weckt ein ungemeines Interesse und begeistert seit Jahrzehnten in Film und Literatur. In „Die Schlange und der Kojote“ von Szenarist Alexis „Matz“ Nolent und Zeichner Philippe Xavier folgen wir einem harten Hund in seinen alten Tagen. Jedoch ist dieses beim Splitter Verlag erschienene Hardcover keinesfalls einfach nur irgendeine Crime-Story. In dieser fiktionalisierten Geschichte begibt sich Matz zu den Anfängen des Zeugenschutzprogramms in den USA. Die dazu wie angegossen passenden Bilder liefert Xavier mit Farben von Jérôme Maffre. Dank der pointierten Übersetzung Hanna Reiningers wird die Geschichte vollumfänglich immersiv und böte ein fantastisches Storyboard für einen Film.
Am Anfang war das Wort
Endlose Weiten, rotsteinige Felswände, Felssäulen und ein Van, der sich mit viel aufwirbelndem Staub durch die Wüste Nevadas schneidet bilden den wortlosen Beginn dieser Geschichte. Nun fehle nur die begleitende Musik und das Intro für besagten Film würde die Atmosphäre perfekt einfangen. Wir folgen der anfangs ziellosen Reise des einstigen Gangster Guiseppe Barella unter dem Decknamen Joe. Er fährt scheinbar planlos durch die dünn besiedeltsten Ecken des Landes, um seine Zeit während des Zeugenschutzprogramms besser zu nutzen, als sich in irgendeiner miefigen Wohnung einer langweiligen Stadt von Polizisten bewachen zu lassen.
Es könnte auch genau so ruhig weiter laufen, wären da nicht die langen Arme der Unterwelt, die den ebenfalls im Zeugenschutzprogramm befindlichen Kronzeugen im Prozess gegen Barellas ehemalige Mitstreiter umbringen. Jetzt ist Barella der einzige Zeuge, der diesen Fall vor Gericht nicht zum Debakel der Staatsanwaltschaft machen kann. Das FBI ist dafür zuständig sich um die Kriminellen unter verdecktem Namen zu kümmern. Die große Schwierigkeit ist, dass sich das Programm überhaupt erst kurz vorher neu gebildet hat und es auf gar keinen Fall gebrauchen kann, Zeugen und somit Verurteilungen vor dem Staat zu verlieren.
Barellas Kontaktmann der FBI, Agent Crews, wird entsandt, um den Kontakt aufzunehmen. Nur wer garantiert, dass die Behörden nicht ebenso von Verrätern und korrumpierbaren Beamten durchzogen sei? Die Organisation der Schmuggler und Drogenhändler Omertá hat ihrerseits auch Männer ausgesandt, um Barella vor dem FBI zu finden. Eine Jagd gegen die Zeit beginnt.
Ein harter Hund auf der Lauer
Guiseppe Barella wird bereits auf den ersten Seiten als skrupelloser Mann mit schnellem Finger am Abzug einer Waffe eingeführt. So erledigt er kurzer Hand ein paar Kleinkriminelle, die Geld aus ihm pressen wollen. Er macht keine unnötigen Bewegungen, ist präzise und schonungslos. In eben jener Art und Weise zeigt auch der Comic die Gewalt. Die an Hollywood erinnernde Auslassung von Gewalt des Selbstzwecks wegen, wird in Xaviers bilden tadellos umgesetzt. Einige Klischees wie die wegfliegenden, von der Schrotflinte getroffenen Ganoven, dürfen natürlich in dieser Stilistik nicht fehlen.
Dem Ton adäquat werden Dialoge im allseits bekannten „Schuss Gegenschuss“ Prinzip in korrespondierenden Panels durchexerziert. Diese Gradlinigkeit ist nicht unbedingt innovativ, funktioniert aber eben auch des Genres wegen sehr gut. Sogar die Perspektiven und der Bildaufbau ähneln den erfolgreichsten Gangster-Filmen der letzten Jahrzehnte. Dafür darf natürlich nicht fehlen, wie Guiseppe Barella überhaupt in eine solche Lage kam, also seine Origin. Diese wird stilgetreu im grünlich-braunen Sepia, umrahmt von schwarzen Seiten, in Rückblenden erzählt. In diesen, wie auch allen anderen Panels, zeichnet Xavier auf moderne und doch eigentümlich klassische Weise im realistischen Stil franco-belgischer Tradition.
Seine Geschichte, Gedanken, Pläne und Ziele erzählt er dem kleinen Star dieses Comics, dem namenlosen Kojoten. Man sollte eher sagen: dem Kojoten mit hunderten Namen. Denn bis zum Ende dieses Werks kann sich Guiseppe nicht auf etwas festlegen, er schlängelt sich von Idee zu Idee und reißt dabei ein Schneise der Verwüstung in seine Umgebung. Obwohl er ein mittlerweile 60 Jähriger Gangster-Rentner ist, hinterlässt er häufig einen bleibenden bis tödlichen Eindruck in seinen Begegnungen. Der kleine Kojote ist nahezu überall dabei. Sein metaphorischer Einsatz, also die Herkunft des Tiers und die Inszenierung kann als repräsentativ für den Protagonisten gelesen werden. Man entwickelt Sympathie zu diesem extrem gewaltbereiten und skrupellosen Kriminellen, schlichtweg wegen des süßen Tiers und so mancher Zeile seiner Monologe.