Wo beginnt die Idee einer Verschwörungserzählung? Wo endet die Fiktion in der Realität? Die Geschichte der Menschheit hat viele Anlässe gegeben, um am eigenen Verstand zu zweifeln oder in voller Überzeugung von Geschehnissen wie MK-Ultra als vermeintlich verrückt abgestempelt zu sein. In „The Department of Truth 3 – Freies Land“ begibt sich James Tynion IV mit einer großen Schar an verschiedenen Künstlerinnen in die Untiefen der populärsten Verschwörungsmythen. Am Zeichenbrett und der Farbpalette mit dabei sind jeweils Elsa Charretier mit Matt Hollingsworth, Tyler Boss mit Roman Titov, John J. Pearson, David Romero, Alison Sampson mit Jordie Bellaire und Jorge Fornes mit Jordie Bellaire. Diese beim Splitter Verlag erschienene Hardcover Ausgabe sammelt all die kurzen und stilistisch extrem unterschiedlichen Kurzgeschichten in einem Band. Daher ergibt sich die seltsame Angabe der darin unchronologisch veröffentlichten Hefte 6-7 und 14-17. Die entstandene Lücke findet man schon im zweiten Band dieser Reihe.
Der Ursprung der Abweichung
Wir beginnen diese Ausgabe mit Lee Harvey Oswald, wie dieser gerade frisch rekrutiert in das geheime Archiv des „Department of Truth“ verbannt wird, um alles dortige zu lesen. Er soll mit der ältesten Schrift beginnen, worin die Frau in Rot zum ersten Mal dokumentiert scheint. In dieser von Lee gelesenen Geschichte wird schnell klar, dass sich Realität, Fiktion und Glaube zu einer neuen Wahrheit manifestieren können. Der Einfluss der Kirche, im Speziellen die Macht über die Zeitrechnung, wird hier als eines der größten Faktoren angegeben. Außerdem behauptet eine Figur, dass auch schon zu dieser Zeit eine Manifestation stattgefunden haben soll. Karl der Große sei nichts weiter als eine kollektive Fiktion und somit erst Realität. Die interessanten Wortgefechte dieses Kapitels lassen einen, ähnlich überfordert wie den die Geschichte lesenden Lee, mit einem Wort zurück: Illuminati.
Nach diesem erhellenden Auftakt nimmt uns Tynion mit an die Anfänge der Karriere von Lee. Ferner wird eine weitere, für den Verlauf und die Ausrichtung des Departments wichtige Figur eingeführt. Der damals noch minderjährige, sich selber nur „Doc“ nennende Dalton Hynes, gehört zu den wachsten Geistern und analytischen Köpfen der Forschung für „seltsame Phänomene“. Seine Theorien und Ausführungen zur Entstehung von manifestierten Fiktionen sind jene, die wir bereits in den vorigen Bänden von Hawk Harrison erläutert bekamen.
Persönliche Entwicklungen
Es scheint daher nur konsequent die beiden Neulinge im Department zu Partnern zu machen. So gehen Doc Hynes und Oswald einigen Spuren nach und treffen auf einem ihrer Recherchen auf den noch kindlichen Hawk Harrison selbst. Dieser wuchs bei seinem dem Wahnsinn nahen Großvater auf, tief im Wald verschanzt, gesichert mit eigenem Bunker.
Immer wieder wird in allen Einzelheften auf eine Gemeinsamkeit, den Ursprung, die Konvergenz, den Anfang und das Ende der sich verändernden Realität angedeutet. Die mysteriöse Frau in Rot ist, wie schon im ersten Band prominent dargestellt und im zweiten weiter ausgeführt, die Kernfigur dieser Veränderungen. Ob sie für die Alterationen der Welt verantwortlich ist, selber nur ein Teil einer kollektiven Idee oder gar eine göttliche Macht verkörpert, bleibt weiterhin ein Mysterium.
Eine stilistisch wilde Reise
Die Vor- und Nachteile einer von vielen Künstlern umgesetzten Ausgabe liegen zumeist auf der Hand. Da nun aber inhaltlich eine konsistente Geschichte erzählt wird, wirkt es nicht wie eine lose zusammengehaltene Anthologie. Das sich durch diesen dritten Band ziehende Konzept geht sehr gut auf. Es sind schlichtweg Ausschnitte der wichtigsten Momente einer Karriere, namentlich der des Lee Harvey Oswalds und seinem langjährigen Begleiter Doc Hynes. Daraus ergibt sich der losgelöste Charakter, die freie künstlerische Umsetzung und visuelle Unterschiedlichkeit nahezu von selbst.
Den daran teilhabenden Künstlerinnen gelingt es jedes zu behandelnde Kapitel in einem angemessenen visuellen Stil umzusetzen. So beginnt diese Ausgabe beispielsweise in einer extrem abstrahierenden Stilistik, die eher an Cartoons der 2000er erinnert, um so eine Distanz darzustellen. Denn nicht nur der Lesende Lee, auch wir Leserinnen verändern durch diese überspitzt als Comic zu erkennende Stilistik unsere Wahrnehmung des Gesagten.
In anderen Kapiteln dieser Ausgabe wiederum zeigen sich Stile, die dem Realismus und somit auch der Abscheulichkeit und Hässlichkeit einzelner Wesen getreu, eine einschüchternd gruselige Wirkung zeigen. Außerdem als sehr besonders hervorzuheben ist das Spiel mit dem Layout, der Form als solches. Ein ganzen Kapitel lang ist man einer Befragung ausgesetzt, als dem schriftlichen Protokoll eben jener Befragung. Nur an manchen Stellen wird durch weitere Protokolle, die mit ganz- oder doppelseitigen Bildern unterstützt werden, die Erzählung erweitert und erhält somit eine zusätzliche Visualität. Dieses wie auch die anderen Hefte dieser dritten Ausgabe zeigen, warum das Ausgangsmaterial von Tynion einfach großartig ist. Es lässt immens viel Raum für die eigene Phantasie, öffnet durch Abstraktion und Überstilisierung die Zugänglichkeit zu den Kernaussagen dieser viel mit Glaubenskonzepten und Philosophie des Glaubens und der Wahrheit spielenden Konzepte.