Colorless 1 – eine farblose Geschichte?

14. Mai 2024
3 Minuten Lesezeit

Ein Manga mit dem Titel „Colorless“ erweckt auf den ersten Blick nicht viel Aufsehen. Denn sind nicht schließlich alle Mangas schwarz-weiß? In diesem beim Cross Cult Imprint Manga Cult erscheinenden Titel ist dies allerdings nicht der Fall. Schon ein schnelles Durchblättern lässt den scharfsinnigen Beobachter verwundert innehalten. Es ist Farbe in diesem des Künstlers KENT, der bis dato wenig bekannt ist und kaum Informationen über seine Person teilte. Diese Mini-Serie erschien im japanischen Online-Magazin „Comic Border“ zwischen 2019 und 2022 und ist in sieben hier zu lande erscheinenden Bänden abgeschlossen. Das Cover lässt bereits erahnen in welchem Genre wir uns befinden werden. Können die Erwartungen getroffen werden?

Kosmische Strahlung

Copyright: Cross Cult

Die Handlung beginnt direkt mit einem der besagten Farbflecken. Ein rot gefärbtes Monster, das aus nichts weiter als Knochen zu bestehen schient, bedroht ein Rüstung tragende Person mit grüner Waffe und eine Frau namens Chie. Der aufmerksame Beobachter erkennt die zwei Figuren vom Cover dieser Ausgabe. Es steht also eine große Bedrohung bevor. Doch vorerst springen wir in diese neuartige Welt. Es ist eine Mischung einer technologiebefreiten Endzeit und einem gewissen Gefühl einer Mega-Metropole, wie man sie vielleicht aus „Ghost in the Shell“ kennen könnte.

Eine bewaffnete Einsatzgruppe ist im Begriff ein Labor zu stürmen. Darin befindet sich eine von deren Auftraggebern dringlich gesuchte Person, Dr. Avidia. Es ist eben jener mit Mecha-Anzug ausgerüstete „Mensch“, der sich im Prolog und dem Cover finden lässt. Warum jedoch das Mensch in Anführungszeichen? Diese Welt ist anders, als so manche Endzeit oder Dystopie. 300 Jahre vor Beginn dieser Handlung ereignete sich eine Sonneneruption, die so stark war, dass ein großer Teil des planetaren Lebens starb. Jene Lebewesen, die nicht sofort verendeten, veränderten sich über Generationen zu neuer Form. So ergab sich, dass die Menschen nun zu Wesen mutierten, die dem Aussehen nach eher an Insekten erinnern. Außerdem hatte jene Eruption, auch „Mercy Pulse“ genannt, zur Folge, dass sämtliche Pigmente aus den Zellen und allem auf der Erde existierenden herausgetrennt wurden. Die Welt wurde tatsächlich farblos.

Kulte und Kultur

Nun ist der „Idopsie-Kult“ (wahrscheinlich benannt nach „Idopsin“, den Botenstoffen für das Wahrnehmen von Farben) auf der Jagd nach allem, was noch Farbe besitzt. Denn nicht nur ein wirtschaftliches auch machtpolitisches Monopol verbirgt sich in der Akkumulation von Farbpigmenten. Menschen handeln es auf den Straßen unter der Hand, im Glauben daraus wundersame Medizin herzustellen, suchen Wege, um an Pigmente zu gelangen, um dann reich zu werden und das Moloch der urbanen Lebensräume zu entfliehen. Dr. Avidia ist seiner oder ihrerseits, so klar ist dies anfänglich noch nicht, im Widerstand gegen den Kult. Die Praktiken, der Missbrauch, die Gewalt und die rücksichtslose Korruption der offiziellen und vom Kult bezahlten Amtsträger zerrüttet das Gemeinwohl. Zu guter Letzt verschwindet eines Tages diejenige Person des Lieblingscafés, die den besten schwarzen Tee kochte. Aus dieser anfänglich einfältigen Problematik entspinnt sich eine Geschichte der Revolution und des Machtkampfes.

Copyright: Cross Cult

Das Mädchen Chie wurde vom Kult entführt, von Avidian wieder befreit und es stellte sich heraus, dass sie allen Widrigkeiten und genetischer Mutation zum Trotze noch den Körper eines Homo Sapiens sapiens hat. Sie beschreibt wie ängstlich die nun mutierten Menschen vor ihr gewesen sind. Chie erwachte aus einem Prinzessinenschlaf und erfuhr Angst und Abscheu beim Anblick ihres menschlichen und nicht bereits zur Skelettmaske mutierten Erscheinung. Sie wird in das Geheimnis Avidians eingeweiht und schließt sich aus Ermangelung an Alternativen seinem Kampf an.

Bereits in dieser Exposition werden die Grenzen des Protagonisten und die Verhältnisse dieser Welt offengelegt. Selten passiert dies subtil, jedoch nie so, dass die Figuren mit dem mahnenden Finger darauf hinweisen oder ausschließlich plakativ wirken.

Der Stil

Diese Manga-Reihe fügt verschiedene Elemente zusammen. Zum einen ist die Linienführung wechselhaft hart, kantig und klar. Ins Besondere dann, wenn es darum geht die Rüstungen, Waffen und Umgebungen zu zeigen. Andererseits zeigt KENT mit seinen Figurendesigns, Expressionen und vielen Details an den Figuren, dass sich eine gewisse Brüchigkeit, Weichheit und ein gutes Auge für Details in seinem Werk entdecken ließe. Manches Mal scheinen die Hände einiger Figuren, die Gesichter und auch die Outlines in einem Schwung gemacht zu sein. Daher ergibt sich ein fließender, weicher und gelegentlich „unperfekter“ Look, der wunderbar kontrastiert zur harten und geradlinigen Außenwelt. In diesem Manga wird viel mit Rasterfolie als Schattierung gearbeitet. Etwas, das dem Look diese Werks eine gewisse Dunkelheit und Ernsthaftigkeit verleiht.

Ebenso kontrastieren die bereits angesprochenen Farbflecken in diesem Manga. Die Idee mit Farbe als Kernelement eines Mangas zu spielen und diese dann auch im Druck umzusetzen, erscheint einfach. Sie nicht zum Selbstläufer und ausschließlich zum Selbstzweck verkommen zu lassen, somit die Wirkung dieses Kniffs verblasst, ist dann doch mit mehr Bedacht anzugehen. KENT hat die Verwendung der Farben in diesem Manga ideal balanciert. Das Erscheinen der Farben ist dann eben so überraschend und fantastisch, wie es wohl auf die Figuren dieser farblosen welt wirken muss.

Idealer Auftakt
Man kann sich nur zufrieden mit diesem Start von „Colorless“ zeigen. Dieser erste Band gibt einem alles, was man sucht in einer Exposition. Der Konflikt, der Weltenbau, die Figuren und Motivationen sind eingeführt und ergeben in sich einen Sinn. Klar muss man sagen, dass diese Geschichte und seine Motive bereits einige Male erzählt wurde. Dennoch hat KENT die Möglichkeiten mit Farbe einen Akzent zu setzen, die Welt und Figuren somit mit dem Medium Manga spielen zu lassen, bisher exzellent genutzt. Dieser Start birgt viel Potential auf eine unterhaltsame und spannende Mini-Serie.
Pro
Cooler Kniff mit Farbe
Gut aussehende Designs
Kontra
Bisher recht überschaubarer (vorraussehbarer) Plot
7

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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Über Hünerfürst.de

Einer der bekanntesten deutschen Netzkultur Blogs seit 2009. Nils Hünerfürst und seine Familie schreiben hier auf Hünerfürst.de über Technik, Kultur, Essen und Videospiele.

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