Shunas Reise – ein Manga des Ghibli-Genies Hayao Miyazaki

13. April 2024
3 Minuten gelesen

Als 1984 der erste Animationsfilm „Nausicaä – Im Tal der Winde“ auf die große Leinwand kam, konnte noch niemand erahnen, das damit der Grundstein für eines der größten Erfolgsgeschichten der japanischen Filmindustrie gelegt würde. Federführend war Hayao Miyazaki, dessen Schaffen schon Jahre vorher als Zeichner begann. Der wegbereitende Manga „Shunas Reise“ Mangas erschien nun in deutscher Erstveröffentlichung bei Reprodukt als Hardcover-Ausgabe. Diese in Tradition des Mangas von Rechts nach Links zu lesende Ausgabe präsentiert die 1983 veröffentlichte Geschichte, ganz in Farbe. Jene Geschichte beruht ihrerseits auf dem tibetanischen Märchen „Der Junge, der sich in einen Hund verwandelte“, die als lose Vorlage diente. Hayao Miyazaki wird nie wieder ein eigenständiges Werk wie dieses veröffentlichen, da er fortan als Genie hinter den Ghibli-Studios bekannt werden sollte.

Die Erlösung im fernen Land im Westen

Shuna lebt in einem Dorf, fernab von den Völkern dieser Welt, in Mitten eines Tals. Die Menschen arbeiten hart, um sich von den kargen Ernten zu ernähren. Die Jakkul, das gehörnte Reittier, welches wir auf dem Cover und auch in „Prinzessin Mononoke“ sehen dürfen, leben mit den Dorfbewohnern in Gemeinschaft. Das Leben in der Gemeinschaft wird schwerer, denn die Natur verwehrt ihnen reiche Ernten.

Als eines Tages ein Mann mit fremder Kleidung im Dorf erscheint, ändert sich die für Shuna alles. Der im Sterben liegende Mann berichtet von einem Land, in dem das goldene Korn so weit das Auge reicht in voller Pracht steht und die Menschen dort keinen Hunger leiden müssen. Der von ihm mitgebracht Samen ist jedoch schon alt und vertrocknet. So steht der Entschluss für Shuna fest: er reist nach Westen, um sein Dorf mit dem goldenen Korn zu retten. Er muss sich dafür vor den Alten der Gemeinschaft rechtfertigen und schließlich die Gesetze brechen. Seine Reise beginnt.

Auf dem Weg in den weit entfernten Westen durchlebt Shuna zahlreiche Abenteuer. Viele Wesen, Szenarien und Stimmungen kann man darin wiederfinden, die Miyazaki zu späterem Zeitpunkt wieder aufgreifen soll. Auch die Stadt, die im Reichtum schwelgt und trotzdem oder gerade deswegen andere Menschen versklavt, ausbeutet und wie Tiere behandelt, erinnert in seinen Grundzügen an jenes bunte Treiben aus den Frühwerken der Ghibli-Studios.

Schöne neue Welt

Shunas Gedanken kommentieren den Status dieser Welt und verbergen nicht jene Kritik, für die viele die Filme noch heute schätzen. Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Entmenschlichung, die nichts als geringere Übel einer egoistischen Gier darstellen, prangert Miyazaki hier ohne Reue an.

Eine der als Sklaven gefangenen Menschen ist das Mädchen Thea und ein kleines Mädchen, dessen sich Thea zum Schutz vor den Sklavenverkäufern annahm. Shunas Versuch die Zwei auf legalem Wege freizukaufen scheitert an der Gier und der Herzlosigkeit der Menschenhändler. Er entzieht sich der Stadt und plant wild entschlossen die Mädchen von den Menschenhändlern zu befreien, ein Angriff steht bevor.

Shunas Erwartungen der „westlichen Welt“ wurden bereits mehrfach erschüttert und enttäuscht, doch nun kämpft er für zwei Herzen in seiner Brust. Das eine schlägt für die junge Thea, das andere sucht noch immer nach dem Ursprung des goldenen Korns.

Mystisch märchenhaft

Shuna Reise geht weiter in die abgelegensten Orte. Er begibt sich hinein in ein Reich, das von göttlichen Wesen und anderen Gesetzen beherrscht wird. Er muss vieles erleiden und es sieht nicht immer gut aus um die Erfüllung seiner Mission und das eigene Leben. Dies führt uns zur Betrachtung der Geschichte auf einer anderen Ebene.

Wie bereits genannt, basiere diese Geschichte auf einem tibetanischen Märchen. Nun ist Jedem bekannt, dass Märchen nicht immer jener Disney-Formel folgen und mit Liedern besungene Enden zeigen, in denen sich alle lachend in die Arme fallen. Märchen sind zumeist alles andere als „Happy-Go-Lucky“ Geschichten. Sie zeigen streng im Sinne der griechischen Komödie Helden, die Aufopferung und Selbstlosigkeit verkörpern. Dies führt nicht selten zum Tode der Protagonisten. So projiziert die Geschichte die Gefühle auf die Lesenden, die daraus wiederum eine lehrreiche Erfahrung schaffen sollen. Ebenso wird auch mit Shuna verfahren, wobei der Ausgang dieser Geschichte an dieser Stelle nocht nicht vorweggenommen ist. Erst durch die Aufopferung, die Selbstaufgabe für das Gemeinwohl und die Hingabe zu seiner geliebten Thea entsteht etwas, das wir als magisch bezeichnen können.

Jene Motive und Kritik, die Miyazaki in diesem Werk formuliert, tragen sich ohne viel Hinzutun. Unter Betrachtung des Entstehungszeitraums sind jene Themen umso mehr hervorzuheben. Die Welt befand sich noch immer in Mitten des Kalten Kriegs, die Spätfolgen der Kolonialisierung und die zunehmende Ausbeutung dieser Regionen durch die ehemaligen Kolonisierenden sind nur einige Aspekte des Kontexts. Miyazakis Adaption dieses alten Märchens, in Anlehnung an aktuelle Debatten, lassen dieses Werk als Vorreiter seines noch ungewissen Schaffens erscheinen. Das Studio-Ghibli zeichnete sich vor allem in seinen frühen Filmen immer dafür aus das Magische, Mystische und märchenhafte als Vehikel zur Kritik an der Gesellschaft zu nutzen.

Eine einzigartige Welt

Unterdes zeigen sich einige Stilmittel, die über die Jahre hinweg von allen Ghibli-Fans geliebt würden. Die stilistische Fusion aus Welten, die dem französischen Künstler Moebius entstammen könnten, den markanten und unverkennbaren Figurendesigns und den auch schon hierin zu findenden Ansichten der Natur gehören zu den viel gelobten Aspekten der Filme. All das findet sich in Shunas Reise. Die Kolorierung und die liebevolle Ausgestaltung der Welt hebt diese im Kern simple Geschichte auf eine neue Ebene. Wie immer gelingt es Miyazaki und dessen Blick für die feinen Zwischentöne viel zu sagen, ohne Worte verwenden zu müssen. Die Bilder und die Farben darin sprechen eine Sprache, die jeder versteht. Ganz ohne aufregende Effekte und fernab von Augenwischerei.

Ein Meilenstein
„Shunas Reise“ gehört in jedes Buchregal eines Miyazaki-Fans. Diese Ausgabe fühlt sich an wie Zeit-Geschichte der Film- und Manga-Sphäre. Mit dieser deutschen Erstveröffentlichung hat sich Reprodukt einen grandiosen Titel ins Programm geholt, der nicht nur für die Fans der Ghibli-Filme ein Wegweiser sein kann. Die hierin angesprochene Themen sind bis heute von Relevanz, auch wenn sie nicht mehr in der Härte diskutiert werden, wie es ihnen vielleicht angemessen wäre. In dieser Geschichte erleben wir eine heldenhafte Figur, die sich verliert, um von seinen Liebsten gerettet zu werden. Es ist keine neuartige Erzählung, aber anders erzählt und somit zu etwas Neuem erhoben.
Pro
traumhafte Zeichnungen im Miyazaki-Stil
ein uraltes Märchen im neuen Gewand
Kontra
teilweise eindimensionale Figuren
9

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Lars Hünerfürst

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