Sollte man denken, dass ein Psycho-Drama wie „Blood on the Tracks“ sich nicht mehr steigern kann, dann muss man sich mit diesem siebten Band eines Besseren belehren lassen. Wieder einmal schafft es Shūzō Oshimi die Spannung hoch zu halten. Das Familiendrama und die psychisch herausfordernden Zustände in dieser Reihe können empfindliche Leser an die Grenzen bringen. Hierin wird wenig auf explizite Gewalt, viel mehr auf die Psyche und die Morbidität eine disfunktionalen Eltern-Kind-Beziehung abgezielt. Dieser siebte Teil erscheint in gewohnter Qualität beim Imprint Manga Cult des Ludwigsburger Verlags Cross Cult.
Das große Erwachen
Die über sieben Bände gehaltene Anspannung, ob sich das Opfer der schwerst psychisch erkrankten Mutter Seiko vom Sturz erholen wird, kann nun aufgelöst werden. Shigeru, der Sohn der Schwester besagter Seiko, ist wieder aus dem Koma erwacht. Allerdings hat dieser keine Erinnerungen an den Tag seines „Unfalls“. Das einzige Wort, das er stotternd über die Lippen bringt, ist „Schmetterling“. Wie bereits in der Rezension zur ersten Ausgabe angedeutet, bedeutet der Schmetterling in Japan in etwas so viel wie das Übertreten der Seele ins Reich des Todes. Hier schließt sich ein Kreis, denn niemand geringeres als Shigerus Peinigerin und Verursacherin seines Leidens beugt sich über ihn, als er jenes Wort herausbringt.
Eine erwartete Freude über das Ausbleiben der Erinnerung stellt sich weder bei Seiko, noch ihrem Sohn, dem Opfer monatelanger psychischer Misshandlung, vollends ein. Zum einen scheint es so, als wäre Seiichi nicht Willens seine Mutter als schuldig zu akzeptieren, da sie alles daran setzte ihn und seine Überzeugung jener Schuld zu ihrem Vorteil zu manipulieren und verzerren. Zum anderen äußert sich die schwerst kranke Mutter Seiko in Trauer über das Ausbleiben einer Bestrafung ihrer Tat, weil sie anscheinend nichts anderes will, als, dass es endlich zu Ende sei. Worauf sie sich damit bezieht bleibt noch offen. Diesen Wunsch gehen zu können, alles zu Bruch gehen zu sehen, äußerst Seiko nach ihrem Besuch im Krankenhaus. Eine eigenartige Reaktion auf die Genesung ihres Neffen. Trotz allem schöpft der Familienvater weiterhin keinen Verdacht oder hinterfragt seine Frau in irgendeiner Weise.
Erinnerung an ein Versprechen
Die Rückkehr ins traute Heim hat die Isolation Seikos zur Folge. Sie zieht sich zurück und leidet an einer unausgesprochenen Depression, worunter der Haushalt sofort massiv leidet. Offensichtlich ist ihr Mann nicht in der Lage wegen der hohen Arbeitslast sich auch noch darum zu kümmern. Der sie gänzlich anhimmelnde Seiichi kehrt wieder zurück zur Schule, doch nicht bevor er das Zimmer seiner Mutter betritt und sich ihr abermals zu Füßen wirft. Sein devotes Gebären wird von Seiko sofort ausgenutzt, indem sie ihn an sein Versprechen erinnert. Er sollte Fukiishi meiden, ihr sagen, dass es aus sei. Seiichi folgt diesen Anweisungen und verletzt seine erste Liebe und Klassenkameradin mit harten Worten. Ungläubig gegenüber der Worte ihres Freundes Sei zweifelt sie an der Herkunft jener Ideen. Ist es wirklich Seiichi, der diese Distanz will oder liegen die Worte der Mutter in seinem Mund?
Oshimis Arbeit hält das stilistische und inhaltliche Versprechen auch in dieser Ausgabe. Die Intensität der Panels, die Super-Close-Ups auf Augen, Münder und die teils extremen Gesichtsausdrücke verfehlen ihre Wirkung nicht. Eine Veränderung im Denken und im Ausdruck seiner Figuren zeigen sich kunstvoll in deren Körpersprache und Mimik. So braucht es nicht viel, um die gänzlich beeinflusste Persönlichkeit Seiichis zu verdeutlichen. Es fällt daher nicht schwer die transportierten Emotionen ebenso zu empfinden. Der Detailgrad, die Art und Weise Schattierung zur Unterstützung der Atmosphäre zu nutzen und die zumeist saubere Linienführung machen dieses Werk und Reihe zu einem Genuss.