In Batgirls Schatten

17. August 2022
3 Minuten gelesen

Was heißt ein Held zu sein? Was heißt es gut zu sein? Welchen moralischen Ursprungs müsse man sein, damit man „das Gute“ vollbringen kann und nicht Gefahr läuft selber zur personifiziersten Selbstjustiz zu werden? Wie werden heldenhafte Menschen angesehen, die nicht der mehrheitlichen „weißen“ Superheldenwelt angehören? Diese und noch einige andere Fragen behandelt Sarah Kuhn in ihrer eigenen Adaption der Batgirl. „In Batgirls Schatten“ begibt sie sich mit der neuen Heldin Cassandra Cain auf eine Reise in Coming-of-Age Manier. Diese für junge Erwachsene konzipierte abgeschlossene Mini-Serie erschien beim Panini Comics Imprint PaniniInk, welches bekannt für seine andersartigen Themen und visuellen Umsetzungen ist.

„Ich hatte nie normale Probleme“

So eröffnet diese Ausgabe mit einem Monolog der Protagonistin Cassandra Cain. Sie ist asiatisch-amerikanerischer Herkunft, die von ihrem sadistischen Vater zu einer Auftragskillerin ausgebildet wurde. Als sie gerade im Begriff war einen Job für diesen zu erledigen, fährt eine Schock durch sie und sie wird sich ihrer Taten bewusst. Sie tötet Menschen, die Kinder haben, so wie sie eines ist. Doch ihr wurde nie solch Zuneigung entgegengebracht, wie es ihr letztes Opfer für das eigene Kind äußerte. Sie versucht daher den Fängen ihres Vaters zu entkommen und ein eigenes Leben mit neuen Grundsätzen zu beginnen.

Allerdings befindet sie sich ohne Sprachkenntnisse mitten in Gotham City und ist wegen der wenigen „gewöhnlichen“ Fähigkeiten recht hilflos. Daher landet sie in schäbigen Gassen und ernährt sich vorerst von Müll. Bis sie von der liebenswürdigen alten Dame Jacqueline Fujikawa Yoneyama aufgegriffen wird. Sie spendiert ihr eine Ramen in ihrem eigenen Diner, bietet ihr Unterkunft und Kleidung an. Cassandra hingegen ist mit all dieser Zuneigung und Fürsorge so massiv überfordert, dass sie ihrer Natur nachgeht und flieht. Ihr Zufluchtsort ist die Gotham-City Stadtbibliothek.

Sie versteckt sich in einer Nische, sammelt sich Bücher zum Spracherwerb und ist begeisterte Zuhörerin einer Bibliothekarin. Barbara Gordon, die Tochter des berühmten Commissioners, sitzt mittlerweile im Rollstuhl und hält Vorträge und Unterricht für die Kinder der Gegend. Die zwei Frauen freunden sich an und Cassandra erfährt bald zum ersten Mal, was es heißt eine Familie zu haben. Eine Familie, die sich um das Wohl kümmert, gemeinsam isst, einen liebevollen und sorgsamen Umgang miteinander pflegt und füreinander da sein will.

„Ich hatte also noch nicht herausgefunden, wie man eine Heldin ist.“

Cassandra mörderische Fähigkeiten will sie nun für etwas Gutes einsetzen. Sie lernt Menschen kennen, die sie beschützen will, für die sie kämpft und nicht gegen die sie kämpft. Auch ein Teil dieser Menschen ist der junge Mann namens Erik, mit dem sie anfangs unbeholfen, dennoch fortwährend flirtet. Sogar so etwas wie ein Date darf in dieser Coming-of-Age Geschichte natürlich nicht fehlen. Es ist jedoch nahezu ausgeschlossen triefenden Kitsch darin zu suchen. Die Tonalität bleibt stetig zweifelnd, relativ ambivalent, was die Gefühle als solche angeht, und dann hin und wieder sehr familiär und irgendwie niedlich.

Das große Vorbild Batgirl ist von der Bildfläche verschwunden. Niemand weiß, was oder wann ihr etwas zugestoßen sein könnte. Dies hält Cassandra aber nicht davon ab sich eigenhändig ein Fledermauskostüm zu nähen und des Nachts für Ordnung und Gerechtigkeit zu sorgen. Anfänglich macht sie dies nur in ihrer eigenen kleinen Welt, der Bibliothek. Mit fortschreitender Handlung wird sie aktiver in der Stadt und erfährt so etwas wie Bekanntheit. Es musste jedoch passieren, was seit den ersten Seiten aufgebaut wird. Ihr Vater, der derzeit größte Unterweltboss, lässt sie verfolgen und beginnt die Jagd auf seine eigene Tochter.

Ob Cassandra „Batgirl“ Cain ihre Freunde und neugewonnene Familie beschützen kann und muss, wie viele Rückschläge sie erleidet und welche Lektionen sie über sich und das Leben erlernt, sollte man sich selber anlesen. Das kleinformatige Paperback lädt dazu ein diese Geschichte unterwegs unter einem schattenspendenden Baum an einem Nachmittag durchzulesen.

Stilistisch kohärent

Wie schon in „Harley Quinn: Broken Glass“ angesprochen, zeigt sich das Imprint PaniniInk von einer künstlerisch anderen Seite. Die Zeichnungen sind unkonventioneller, stilistisch freier und werden zumeist mit einer stimmungsvollen Koloration zu etwas ganz Besonderem. So auch diese Mini-Serie, die von Nicole Goux gezeichnet und von Cris Peter koloriert wurde.

Nicole Goux hat bereits viele Indie-Comics veröffentlicht und zeigt einen Stil, der sich am ehesten als Mischung aus Cartoon, Manga und Superheldenästhetik beschreiben lässt. Die Gesichter, vor allem die Augen, sind entweder groß, geschwungen, kräftig und oval oder kleine schwarze Punkte, die situationsgerecht eine gewisse Naivität oder Schüchternheit verkörpern. Die von Goux gestaltete Szenerie ist liebevoll detailliert, das Spiel mit Licht und natürlich der Dunkelheit gelingt ihr fantastisch und die durchgehend spielerischen Panelaufteilungen geben dem gesamten Comic einen sehr frischen und lebhaften Eindruck.

Dazukommen die von Cris Peter gewählten Farben, die allesamt Pastelltöne sind. Die ausgelesenen Farben nehmen der gesamten Geschichte ein wenig die Kanten, eine gewisse Schärfe. So etwas kann auch als positive Eigenschaft gewertet werden, da es nunmal auch um einen missbrauchenden Vater und eine kaputte Eltern-Kind-Beziehung in dieser Geschichte geht. Besonders hervorzuheben ist, dass die Farbflächen mehr als nur Flächen sind. Es wirkt so, als wären die Zeichnungen stellenweise auf grobporigem Papier mit unterschiedlich deckenden Aquarellfarben aufgetragen. Doch hat es nicht den typischen Aquarell-Look, es erinnert eben nur ein wenig daran. Dies macht das gesamte Bild, jede Szene noch haptischer und lebendiger, als sie es eh schon sind.

Vielseitig, familiär und reflektiert
„In Batgirls Schatten“ ist eine Coming-of-Age Story, die mehr als kitschig-romantisch ist. Die von Sarah Kuhn aufgenommenen Themen sind vielseitig abstrahierbar, wenn auch teilweise nur in gewissem Maße, und bieten nebst dem Aspekt Familie noch einiges mehr. Gerade, da die Geschichte aus der Perspektive Cassandra Cains verfasst ist, bekommen viele Monologe, die fast immer aus Reflexion ihrer Situation bestehen, einen interessanten Beigeschmack. Man erfährt zudem ein wenig über den Kosmos der Batgirl, die als kanonische Figur im DC-Universum, nicht gerade irrelevant ist. Es macht Spaß, ist niedlich, unterhält seicht und spricht dennoch interessante Aspekte an. Wirklich tief und emotional fordernd wird dieser Comic jedoch nicht. Man kann diesen Comic ruhigen Gewissens an etwas ältere Kinder verschenken oder ausleihen, da von grober Gewalt Abstand genommen wird. Die inhaltlichen Aspekte zu verstehen, bedarf es sicherlich eines wenig gehobeneren Alters, als 6 Jahren. Daher hat dieser Comic eine Empfehlung für Leser ab 13 Jahren.
Pro
schöne Zeichnungen im jungedlich cartoonesken Stil
interessante Monologe Cassandra Cains
Kontra
wirkliche Tiefe und Dramatik fehlt stellenweise
7

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Über den Autor

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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