Negalyod 2

Knapp drei Jahre nach dem von der Redaktion des Tagesspiegels als „Bester Comic 2019“ gekürten Werk erscheint nun die Fortsetzung von „Negalyod“.

Vincent Perriot hat seine dystopische Vision einer dem Untergang geweihten Welt fortgesetzt und schlägt neue Wege ein.

Dieser zweite Teil erscheint ebenso wie Band 1 beim Carlsen Verlag in einer großformatigen Hardcover Ausgabe.

Die Angst vor dem Schicksal

Die Welt bricht auseinander. Nach Jahrzehnten der Trockenheit und Ausbeutung haben Jarri und Kerienzé mit ihrer Revolution das Machtgefüge zerstört. Der ganze Planet flutet sich nun von einem Extrem ins nächste und zwingt die Menschen, auf riesigen selbstgebauten Tankern zu wohnen. Im Stil der Arche versuchen die Überlebenden, so viele Leben wie möglich zu retten, während die Menschen in den Städten den Untergang feiern. Sie baden sich im Exzess; eine hedonistische Selbstzerstörung im größtmöglichen Maßstab. Die übrigen Strukturen zerfallen zu Staub, kollabieren ob ihrer eigenen Last. Häufig versinkt Jarri mit den Gedanken zwischen den Zeilen seines prophetischen Buches. Aneinandergereihte Worte bilden eine Voraussagung, die Jarri jedoch nie bis zum Ende las. Man merkt schon auf den ersten Seiten dieses zweiten Bandes, dass es wesentlich metaphorischer und chiffrierter zugehen wird.

Ein Zeitsprung von 16 Jahren zeigt, wie es nun um die Welt bestimmt ist. Die von Jarri angeführten Überlebenden haben sich um Ruinen von etwas, das wie der Arc de Triumphe aussieht, versammelt. Sie züchten Obst, Gemüse, gehen auf dem unendlichen Meer nach riesigen, im Wasser lebenden Dinosauriern jagen und vermehren sich. So auch Jarri und Kierenzé. Die Zwillinge, die geboren werden, könnten unterschiedlicher nicht sein und werden für den Verlauf dieser Geschichte relevanter als jede andere Figur.

Kierenzé verschwand eines Tages, um möglichst nah an die einzige Bedrohung der Überlebenden heranzukommen. Diese Bedrohung ist ein Clan aus Piraten, deren Ziel die Auslöschung der gesamten Menschheit ist. Sie marodieren und überfallen die Überlebenden schließlich in einer großen Offensive. Dort prallen Gewalten aufeinander, überraschende Plot-Twists und spannende Szenen reihen sich aneinander.

Neue Welt, bekannte Farben

Wie schon im ersten Band dieser Reise in eine dystopische Welt im Stil des Jean Giraud kommen wir in den Genuss  eines kontrastreichen Farbspiels. Starke Orange- und Blautöne wechseln und komplementieren sich teilweise in einem Panel. Die Zeichnungen als solche können klar einer Tradition der „Ligne-Claire“ zugeordnet werden, mit ihren sauberen Outlines, klaren Formen und reduzierten, aber ausschmückenden Details.

Ebenso eigensinnig und stilprägend für dieses Werk ist die Fusion aus der Darstellung von Dinosauriern und antik aussehender Technik, die Assoziationen an Geräte des Ghibli-Kosmos wecken. Diese Fluggeräte oder Schiffe sind reichhaltig mit kleinsten Details gezeichnet und werden häufig auf Doppelseiten oder Splashpages zur Schau gestellt.

Etwas, das dem ersten Band nicht direkt anzumerken ist, kommt nun in diesem zweiten Teil besonders zum Vorschein. Vicent Perriot erzählt viel seiner Geschichte über stumme Panels, die in ihrer Komposition und Symbolik entweder klare Aussagen treffen, noch öfter jedoch eine verschlüsselte Nachricht und Kritik innehaben.

In jedem Fall ist dieses Werk visuell sehr eigen, besonders und in jedem Fall herausragend. Die Darstellung der Wasserwelten und ihrer darunter liegenden Bedrohungen sowie die Inszenierung der oberhalb marodierenden Banden schaffen ein bedrückendes Gefühl von Gefahr und tödlichen Konsequenzen zu jeder Zeit.

Fazit
„Negalyod – Das letzte Wort“ ist ein gewaltiger Abschluss einer vielschichtigen Geschichte. Mit viel Raum für Interpretationen und Bildern, die komplexe Gefühle und Gedanken einfangen, macht diese Geschichte etwas, das nur selten zu sehen ist. Sie stellt Fragen, ohne zu versuchen, eine Antwort zu finden. Die Welt wird auf eine Weise erklärt, die im Nachhinein triftig erscheint und wirkt somit authentischer, als sei sie nur eine weitere dystopisch-fantastische Geschichte. Jedoch muss auch gesagt werden, dass sich Perriot in weiten Teilen seiner Graphic Novel in Schwärmereien, ja, fast Tagträumen verliert und somit einige Längen entstehen. Ob das Ende dieses Werks einem nun gefällt oder man es als überspitzte Esoterik und unnötiges Fantasieelement deuten möchte, liegt allein beim Lesenden. Das Gesamtwerk „Negalyod“ ist in jedem Falle einen Blick wert und ist vor allem für Moebius-Fans ein Muss.
Pro
Faszinierende Fortsetzung der dystopischen Welt, einzigartige Bildverschmelzung, starke visuelle Anziehungskraft.
Kontra
Kryptisches Geschichtenerzählen kann eine Herausforderung sein, gelegentliche Geschwindigkeitsprobleme, spaltendes Ende.
8.4

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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