Blood on the Tracks 3

5. August 2023
4 Minuten gelesen
Blood on the Tracks 3 Cover

Nach einiger Recherche ließ sich kein Begriff für das Phänomen finden, von dem dieser Manga lebt. Es ist wie der häufig herbeigezogene Autounfall, von dem man sich nicht abwenden kann, es aber will. Dieses von Shuzo Oshimi geschaffene Werk ist eben genau solch eines. „Blood on the Tracks 3“ fesselt, widert an und lässt den Puls ansteigen. Die noch laufende Manga-Reihe findet nun schon zum dritten Mal ihren wohl verdienten Platz beim Imprint Manga Cult des Ludwigsburger Verlags Cross Cult. In gewohnt hoher Druckqualität und mit einigen zusätzlichen „Familienfotos“ nach der eigentlichen Geschichte wird dieser Horror-Manga zu einer rundum gelungenen Erfahrung.

Achtung Trigger: Psychische, körperliche und emotionale Misshandlung

Tiefe Einblicke

Ohne alles Vorweg zu nehmen und die Lektüre obsolet zu machen, wird nun versucht die Handlung zusammen zu fassen. Es geht jedoch nicht ganz ohne Spoiler! Daher sei an dieser Stelle gewarnt vor Spoilern und expliziter Gewalt in verschiedenen Formen. Denn eines lässt sich generell über dieses Werk sagen: es ist brutal und fordert den Leser:innen einiges ab.

Der zweite Band endete damit, dass die emotional und psychisch misshandelnde, dringend professionelle Hilfe benötigende Mutter Seiko mit ihrem Seiichi den gerade erhaltenen Liebesbrief der Klassenkameradin Yuko Fukiishi zerreissen. Zum Abschluss küssen sie sich. Wer hier schon aussteigt und meint, dass dies einen Schritt zu weit geht, dem sei geraten vielleicht nicht weiter zu lesen. Wen interessiert wie sich diese extrem ungesunde Mutter-Sohn-Beziehung weiterentwickelt sollte nun nicht zurückschrecken. Shuzo Oshimi legt noch einen drauf.

Der Vater der Familie Osabe Ichiro kehrt überraschend zurück zum Haus und findet Mutter und Sohn Arm in Arm im Bett Seiichis liegen. Nach einiger Verwirrung entbrennt ein kleines Wortgefecht zwischen ihm und Seiko, die partout nicht ins Krankenhaus fahren will, um ihr Opfer zu besuchen. Bisher weiß niemand außer Seiichi, dass sie diejenige war, die seinen Cousin Shigeru die Klippe hinabstieß. Diesem Druck zu Schulde entwickelt der Teenager eine Psychoglossie. Diese psychologische Störung bezeichnet ein psychogenes (Entwicklung der Psyche im Lauf des Lebens) Stottern. Er kann nicht mehr reden und eine unsagbare Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben.

Das Ende der Zweisamkeit

Blood on the Tracks 3 Seiko Seiichi

Die Sommerferien enden und Seiichi muss zurück in die Schule. Dort trifft der zurückhaltende Schüler auf seine schroffen Kumpels, die ihn nun als Mobbing-Opfer auserkoren haben. Es ist furchtbar anzusehen, wie er sich vor dem Hintergrund seiner Erlebnisse damit abkämpft seine Sprache zurück zu erlangen. So verwundert es wenig, dass Seiichis Selbstwert innerhalb kurzer Zeit nahezu gänzlich gebrochen ist. Er entwickelt sich zu einem Ausgestoßenen, wäre da nicht Yuko Fukiishi. Sie wendet sich ihm zu und fragt nach, ob er ihren Brief gelesen hätte. In seiner gebrochenen Artikulation bejaht er. Sei gibt ihr schon einen Hinweis darauf, dass er sich Wohl fühle in ihrer Gegend.

Yuko ist die Figur, die diese manipulative und missbräuchliche Beziehung zur Mutter brechen soll. Sie wird ganz klar als Hoffnung inszeniert, obwohl eine gewisse Skepsis ob ihrer psychischen Gesundheit reininterpretiert werden kann. Gerät Seiichi auf lange Sicht vom Regen in die Traufe?

Als Sei (Kurzform für Seiichi) eines Tages nach Hause kommt, hört er wie seine Eltern sich heftig streiten. Dabei werden Dinge gesagt, die ihn und das Bild über seine Mutter gänzlich verändern. Prompt darauf schnappt sich Ichiro seinen Sohn und fährt mit ihm ins Krankenhaus, er soll Shigeru nun endlich besuchen. Dort angekommen sehen wir als Leser:innen zum ersten Mal den Zustand des Jungen. Es sieht nicht sehr gut aus für ihn. Seiner Mittäterschaft, explizit der Lüge über den Hergang des „Unfalls“ vor der Polizei, bewusst und durch die vorigen Wochen psycho-emotional extrem labil bricht er in ein tiefes Schluchzen und Weinen aus. Niemand vermutet mehr dahinter, als Mitgefühl für seinen Cousin, da er eine Entschuldigung stammelt, die nicht zugeordnet werden kann. Fragen stellt allerdings auch keiner der anwesenden Erwachsenen.

Neue Härte

Im Verlauf dieser Ausgabe von „Blood on the Tracks“ wird der Verdacht verhärtet, dass Seiko selbst eine schwerst traumatisierte und unter massiven psychischen Störungen leidende Person ist. Seiichi findet sie auf dem Boden hockend, unverständliches Zeug murmelnd, in die Luft gestikulierend ganz so als würde sie ein Baby halten wollen. Ihr Gesicht wird in diesen Szenen noch nicht gezeigt, der Schauer läuft einem dadurch umso kälter den Rücken runter. Kurz darauf kommt das Unerwartete. Eine neue Ebene der Eskalation wird nun betreten.

Es wird physisch und zugleich immer unangenehmer, was die emotionale Misshandlung anbelangt. Die Mutter zwingt ihren Sohn zu Dingen, die er nicht tun möchte, mit dem Druckmittel des Liebesentzugs. Das nur, um dann selbst die Person zu sein, die ihren gepeinigten Sohn aus dieser Situation rettet und ihn zu trösten, zu versichern, dass alles wieder gut würde, wenn er doch nur bei ihr bliebe. Diese abgrundtief verdammungswürdige Methode der Misshandlung ist tatsächlich eine sehr gängige Praxis in Kulten und Sekten, in denen ritualisierte Gewalt zum Tagwerk gehört. Zumeist bildet sich aus solchen, die Psyche eines Kindes zerstörenden Erfahrungen, eine oder mehrere sehr schwerwiegende Erkrankungen, beispielsweise eine dissoziative Persönlichkeitsstörung (im Volksmund fälschlich Bi-polare Persönlichkeit oder gespaltene Persönlichkeit).

Blood on the Tracks Seiichi Seiko

Visuelle Härte

Nicht nur der Inhalt begibt sich auf ein neues Niveau der gezeigten Härte des Horrors. Die für diesen Manga charakteristischen Close-Ups und Super-Close-Ups auf Augen sind auch hierin zu finden. Sie sind ein essentieller Teil der gesamten Wirkung dieses Werks, das sich durch die effektvolle Mischung aus Gezeigtem und nicht-Gezeigtem auszeichnet. Die Darstellung der Figuren bewegt sich von lieblich süß, über ernst, verlassen, hoffnungslos, hin zu in Angst erstarrt oder gänzlich manischem Wahnsinn.

Eine solche Bandbreite führt zu einer für „Blood on the Tracks“ wichtigen Eigenschaft, sie greift einen auf vielen emotionalen Ebenen an. Der Protagonist und seine zunehmend kritischeren Gedanken rücken ins Zentrum, seine fortschreitende Depression, die psychogenen Erkrankungen steigern sich und man fühlt sich gezwungen zu helfen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich auch dieser dritte Band blitzartig ausgelesen hat. Die Spannungskurve ist gut inszeniert und fesselt extrem, sodass man nicht merkt wie nah das Ende eines Bandes ist.

Blood on the Tracks 3 Cover
Fesselnd auf perfide Art
„Blood on the Tracks 3“ ist gnadenlos. Gnadenlos abstoßend, gnadenlos fesselnd und gnadenlos gut. Die ausgezeichnete visuelle Umsetzung, das Pacing und die Wendungen der Handlung sind schlichtweg fantastisch. Auch wenn es sich dem anfänglich benannten Phänomen des schockierenden Unfalls gleicht, von dem man nicht seinen Blick abwenden kann, ist dieser Manga mehr als eine reine voyeuristisch, sadistische Eskapade. Die Stationen der Eskalation bezüglich Misshandlung und emotionaler Erpressung können exemplarisch gesehen werden und schaffen ein ganz anderes Bewusstsein für jedweder Verhalten dieser Art. Dringende Empfehlung, aber nichts für schwache Nerven.
Pro
emotional fordernde Handlung
Horror erzeugende Bilder
großartiges Pacing
Kontra
sehr harter und möglicherweise traumatisiernder Inhalt
9

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Über den Autor

Lars Hünerfürst

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