Tom King gehört unter vielen Comic-Fans zu den Top-Autoren dieser Zeit. Nicht nur spannende Thriller kann er schreiben, auch einfühlsame Charaktermomente bringt er überzeugend aufs Papier. So auch in der Mini-Serie „Human Target“, die beim Panini Verlag in zwei Paperbacks erscheinen wird und gemeinsam mit Greg Smallwood, der durch Jeff Lemires „Moon Knight“-Run Bekanntheit erlangt hat, umgesetzt wurde.
Die Geschichte ist in ihrem Kern ein Kriminalfall im Noir-Stil, verortet im Black Label DC-Kosmos.
Noch 12 Tage
Christopher Chance gehört zu den begnadetsten Verkleidungskünstlern und Detektiven der Welt der Detective Comics. Seine Laufbahn begann in den Comics bereits in den 1970ern und schon immer gehörte die Fähigkeit, eine Identität kunstvoll und überzeugend anzunehmen, dazu. Sein Codename „Human Target“ entspringt aus seiner Berufung, also das menschliche Ziel zu sein, um Attentäter und die Drahtzieher zu entlarven. Doch dieses Mal sollte alles anders kommen als geplant. Christopher Chance wird tatsächlich Ziel eines Anschlags, eines Giftanschlags. Ihm wird versichert, dass ihm nur noch zwölf Tage bleiben, bis er sterben wird. Diese Tatsache wird den Leser:innen auf den ersten Seiten präsentiert. Wir begleiten ihn in seinen scheinbar letzten Momenten. Die Handlung springt an den Anfang besagter zwölf Tage, wo er Lex Luthor mimt und auf der Bühne von einem Attentäter angegriffen wird. Das Gift hatte Christopher da längst zu sich genommen.
Er beginnt seine Ermittlungen bei denen, die am ehesten ein Motiv hätten, Lex Luthor zu ermorden, der Justice League International. Kurz darauf erscheint eines der Mitglieder, die Femme Fatale dieser Crime-Noir-Story, Tora Olafsdotter alias Ice und bietet sich an, ihm mit ihren Kontakten zu helfen. Zwischen Eifersuchtsdramen ihres Ex (Green Lantern), Wortgefechten zwischen Chance und Ice und einer gehörigen Menge prickelnder Flirts entsteht eine liebevolle und zugewandte Art zwischen den beiden. Das Human Target verfällt ihrem Zauber und verliebt sich in einer Phase seines Lebens, die unpassender nicht hätte sein können. Jedoch lebt der dem Alkohol zugewandte Detektiv seit seiner Diagnose jeden Tag, als wäre es der letzte.
Jedes der sechs Hefte in diesem Paperback spiegeln genau einen Tag im Leben des Christopher Chance wider. So ist abzusehen, dass ein Finale mit spannenden Enthüllungen und jeder Menge abgeklärter Zitate auf die Leser:innen zukommen wird.
Visuell meisterhaft
Greg Smallwoods Arbeit in diesem Werk ist einfach und ohne zu übertreiben großartig. Er kreiert Bilder, die gnadenlosen Retro-Charme versprühen, dennoch nicht antiquiert aussehen. Unterschiedlich farbige und immer handgezeichnet aussehende Outlines, eine Mischung aus dezenten Schraffuren und kolorierten Schatten und eine Reduktion auf das absolut Nötige lassen jede Seite wie ganz großes Feuerwerk der Zeichenkunst erstrahlen. Die Expressionen der Figuren zeigen ebenso viele Facetten: von lieblich kokett bis ernsthaft und angsteinflößend wütend. Viel der Atmosphäre dieses Comics entsteht durch diese kleinen Zwischentöne in den Panels.
Smallwood hat alles daran allein bearbeitet und man merkt, wie durchdacht und kohärent das künstlerische Konzept dieser Reihe erscheint. Die Kolorierung trifft jedes Setting und Szene auf den Punkt. So sind Szenen, in denen ein gewisser Suspense entwickelt wird, meist in einer kontrastierenden Zweifarbigkeit belassen. Wiederum andere Abschnitte der Handlung zeigen sich in farbenfroher und vielfältiger Gestalt. Nicht nur ist das Zeichenwerk Smallwoods außerordentlich, auch das Gespür für Layout macht einfach nur Spaß. Zwischen den Heften wird eine immer wiederkehrende Kalenderseite gezeigt, die zunehmend mehr blutigen Husten vorweist sowie einen weiteren durchgekreuzten Tag.
Außerdem beginnt jedes Kapitel – ganz nach dem Vorbild vieler TV-Serien – mit einigen Szenen der Handlung. Darauf folgt meist eine Splashpage oder ein halbseitiges Panel, in denen das folgende Heft betitelt wird und alle daran teilhabenden Akteure genannt werden. Manchmal stehen die Credits auf einer aufgeklappten Zeitung, manchmal kunstvoll im Hintergrund eingebunden. Ziemlich genau wie die Opening Credits während einer beginnenden Szene. Die Panelstruktur ist dem Sujet treu und daher eher klassisch, aufgeräumt und geradlinig.