Kurt Busiek, der Meister des Alltäglichen, hat sich in dieser neuen Reihe einen lang gehegten Wunsch erfüllt. Er wollte eine Reihe schaffen, die mehrere Figuren des Marvel-Verse zusammenfügt und eine ihm typische Geschichte erzählen, aus der Perspektive eines „einfachen Mannes“. Dieser Plot klingt dem seines mit Alex Ross umgesetzten Klassikers, den „Marvels“, recht ähnlich, könnte man spitzfindig meinen. Doch weit gefehlt. Der Start dieser Reihe erscheint bei Panini und begleitet Kurt Busiek, wie er mit dem talentierten Yildiray Çinar einen durchwachsenen, wenn auch nicht ganz uninteressanten Start hinlegt.
Die Handlung
„The Marvels“ nimmt den vorläufigen Ausgang dieses Paperbacks bereits auf den ersten Seiten vorweg. Kurt Busiek nutzt die Montageerzählung, bei der auf drei Hauptzeitebenen die Zuspitzung eines globalen Events beschrieben wird. Daher begleiten wir die diversesten Superhelden auf ihrem Weg, ihre eigenen Schicksale zu erfüllen. Die Familie Reed erleben wir beispielsweise noch bevor sie im All zu den Fantastischen Vier werden wird, den Winter-Soldier sehen wir im Gespann des sowjetischen Captain America-Pendants Shostakov alias Red Guardian und lernen viele weitere Figuren der zweiten und dritten Reihe kennen.
Der Konflikt, den es in der Zukunft auszutragen gilt, begann in den 70er Jahren in dem Sin-Cong-Krieg. Dort machten Wissenschaftler die Entdeckung des Jahrhunderts. Es befinden sich riesige Monsterskelette im tiefsten Dschungel. Splitterfraktionen krimineller Organisationen forschen daran, eigene Monster zu erschaffen. Mithilfe einer rätselhaften schwarzen Substanz werden gewöhnliche Lebewesen zu gigantischen Predatoren. Diese über 50 Jahre zurückliegende Entdeckung wird durch die Lady Lotus, ein Wesen bisher unbekannten Ursprungs, in der Gegenwart zu einem gewaltigen Problem instrumentalisiert. Sie schließt mittels dieser schwarzen Materie eine ganze Region ein. Nichts geht rein oder raus, ohne selber zum Monster zu werden oder qualvoll zu verenden.
Zeitgleich dazu bekommen wir einen – ganz im Sinne Busieks – gewöhnlichen Menschen als Protagonisten der Gegenwarts-Zeitlinie eingeführt. Kevin Schumer, ein umtriebiger New-Yorker, bietet mit gekaufter oder gefundener Superheldentechnologie Superhelden-Touristik-Touren an. Er steht im engen Kontakt mit dem Tinkerer, einem der raffiniertesten Mechaniker experimenteller Superheldentechnologie, an den er Bauteile verkauft und sich dort seine Objekte reparieren lässt. Bei einer seiner Touren gerät er an Wissen, das ihn für den weiteren Verlauf zu einer wichtigen Figur werden lässt.
Denn es gibt eine Figur in diesem Werk, die so etwas wie die Position des Spielleiters verkörpert, eine Figur, die die Geschicke der Helden maßgeblich beeinflussen wird. Die Figur „Threadneedle“ ist optisch und in seinem Habitus wohl mehr als eine Hommage an die reale Kunstfigur David Bowie. Threadneedle schickt seinen Assistenten Ace Spencer, der selber aussieht, als wäre er eine optische Kopie des Michael Jackson der frühen 80er Jahre, durch die Zeiten und zu den Helden, um dort unterstützend zu wirken und die Geschehnisse zu manipulieren. Eine der spannendsten und rätselhaftesten Figuren in diesem ersten Paperback.
Die Geschichte ist dann jedoch leider etwas wirr, wirft viele Fragen auf, die erst später oder gar nicht geklärt werden und hat es in diesem ersten Band noch nicht geschafft, ein wirklich mitreißendes Erzähltempo zu etablieren. Die schiere Fülle an Held:innen und Schurken, Querverweisen und Referenzen zu anderen Figuren macht es nicht unbedingt leichter, hierin Antworten zu finden. Allerdings kann mit dem folgenden Paperback, basierend auf so einem massiven Cliffhanger, alles revidiert werden und es stellt sich möglicherweise als groß angelegte meisterhaft geplante Montage heraus.
Der Stil
Die Zeichnungen des Yildiray Çinar bilden eine interessante Mischung verschiedener Comic-Stile. Die Formensprache und Designs der Figuren wirken modern, mit kleinen Details an tiefe gewinnend und auch in großen Splashpages eindrucksvoll und kräftig. Die Dynamik der Helden in ihren Kampfszenen gelingt ihm ebenso wie die ausdrucksstarken Gesichter der Zivilisten und Protagonisten gleichermaßen.
Ein mittlerweile nicht mehr sehr geläufiges Stilmittel ist die Verwendung von Rasterfolie, um Schatten und Lichteinfall zu illustrieren. Die gleichmäßigen Abstände der gleich großen Punkte schattiert eine Fläche oder Teilbereiche ganz simpel, aber effektvoll. In Mangas ist diese Stilistik wohl noch am häufigsten vertreten. In diesen kleinen stilistischen Mitteln lässt sich der Fusion-Stil des Çinar erkennen.
Häufig verwendet er zudem überlappende Panelstrukturen, die das gleichzeitige oder sehr zeitnahe Geschehen mehrerer Aktionen verdeutlichen und eine stärkere Verknüpfung mehrerer Panels erzeugen. Ein angeregteres Lesetempo und ein ineinander verzahnter Eindruck entstehen somit ganz automatisch.