Kondensstreifen im Kopf

Die Schule ist nahezu beendet und die eigene Autonomie wird wichtiger. Oft fallen der Führerschein, die erste große Verliebtheit und ein sich veränderndes Bild zu seinen Eltern in diesen Zeitraum. Nahezu volljährig und endlich erwachsen. Wären da nicht die nächsten Probleme, die sich daraus ergeben, wie emotionale Verletzungen und zunehmende Verantwortung für das eigene Handeln. Till Lukat hat in „Kondensstreifen im Kopf“ einen Einblick in ebendiese Zeit gewagt. Der Avant-Verlag hat das Werk im Hardcover veröffentlicht.

Die Handlung

Peter Hartmann lebt in einer Vorstadt in einem Einfamilienhaus, ist kurz vor seinem Abschluss und schon zum zweiten Mal durch die Führerscheinprüfung gefallen. Sein Fahrlehrer ist ein unangenehmer Typ, der Peter noch zusätzlich die harte Zeit erschwert. Aus Frust darüber zerschlägt Peter eine Scheibe und wird blöderweise dabei beobachtet. So steht er nun mit knapp 200€ auch noch in Schulden bei seinem Vater, der ihn ebenso tadelt ob seines Verhaltens.

Doch zum Glück hat er seine beste Freundin Kiana, die im Rollstuhl sitzt. Mit ihr verbringt er gerne und viel Zeit, da sie sich beide als Außenseiter wahrnehmen. Peter wird häufig von den „coolen Kids“ angepöbelt und körperlich bedrängt. Sein vermeintlicher Freund, der Peter jedoch nur nutzt, um sich die Hausaufgaben geben zu lassen, konnte ihn so einige Male aus einer brenzlichen Situation befreien. So befindet sich Peter in einer komplizierten Abhängigkeit. Ihm missfällt die gesamte Situation und er sucht sich seine Wege, um sich abzulenken. Meist sitzt er dafür rauchend auf dem Dach und beobachtet die Straße am Abend.

Natürlich darf in einer solchen Geschichte eine „Love-Interest“ nicht fehlen. Peter knutscht gerne mit Anke rum, die sich allerdings nicht mehr mit ihm treffen will. Sie ist bereits woanders mit dem Interesse, hat aber auch nicht den Mumm, es Peter zu sagen. So entsteht eine sehr nachvollziehbare, wenn auch unbequeme schmerzende Situation. Er verletzt damit seine beste Freundin Kiana und verliert sein Fahrrad.

Peter ist ein armer Tropf, dem es nicht gelingt, seine Bedürfnisse klar zu kommunizieren und der sich lieber im Trash-TV der ausgehenden 90er Jahre verliert. Die aufgemachte Nebenhandlung um die künstlerischen Ambitionen seines Vaters und die Beziehungsdynamik zwischen seinen Eltern fügt dem Bild ein weiteres passendes Teil hinzu. Es behandelt zudem das Thema Mobbing, was subtil eingeflochten wird und zum Ton des Miteinanders der Schüler beiträgt.

Der Stil

Das gesamte Werk ist monochromatisch gehalten. Ein seichtes Orange dient neben Weiß und Schwarz als einzige wirkliche Farbe. Manchmal ist es Schattierung, Hintergrund oder sogar füllende Farbe für Kleidungsstücke. Es gelingt Lukat hierbei, in jedem Bild eine ausgewogene Balance in der Kolorierung zu finden; genügend, um eine Dynamik zu kreieren und gleichzeitig nicht zu erdrückend viel.

Nebst der stilprägenden Art und Weise, seine Geschichte zu kolorieren, zeigt der Künstler einen weichen und zugleich geometrisch perspektivischen Stil. Die Szenerie ist zuweilen klar gegliedert, visuell sauber und definiert. Die Augen der Figuren werden manchmal schlicht als schwarze kleine Punkte gezeigt und nur detaillierter gezeichnet, wenn ihnen mehr Ausdruck zuteilwird. Obwohl der Vergleich etwas hinkt, bekommt man ab und zu einen „Beavis & Butthead“-Vibe, der allerdings durch die erheblich besseren Zeichnungen Lukats nur im Ansatz diese Assoziationen weckt. Die Figuren wecken vielmehr Sympathie und nehmen einen mit auf die Achterbahnfahrt des Erwachsenwerdens. Die Struktur dieser Graphic Novel ist geradlinig in allen Belangen. Die Panels sind klar voneinander getrennt angeordnet. Die gesamte Erzählstruktur läuft stringent vorwärts und haftet nah an der Hauptfigur Peter. So verstärkt sich die Bindung zur Figur und man kann sich ganz auf Peters Wahrnehmung und die Konflikte mit der Welt einlassen.

Fazit
„Kondensstreifen im Kopf“ hält eine Atmosphäre und einen Zeitgeist fest, die am Rand einer größeren Stadt sicherlich häufig gelebt wurden. Die ausgehende Schulzeit mit all seinen Tücken und größeren Problemen wird beleuchtet. Es zeigt behutsam eine wahrhaftig ernste Freundschaft, die man nicht so schätzt, wie sie es vielleicht schon immer verdient hätte. Till Lukat gibt einem das Gefühl, dass Probleme vielleicht gar nicht so groß gewesen sind, wie sie schienen und man immer eine Lösung finden kann. Eine Graphic Novel zwischen Slice of Life und Coming of Age, die Mittdreißiger das eine oder andere Mal an die eigene Schulzeit zurückdenken lassen könnte.
Pro
Authentische Darstellung der Jugend, gut ausgearbeitete Charaktere mit nachvollziehbaren Kämpfen, monochromatischer Kunststil für Tiefe und Ausgewogenheit, behandelt Themen wie Freundschaft, Familiendynamik und Erwachsenwerden.
Kontra
Manche mögen die Erzählung vertraut oder vorhersehbar finden, die begrenzte Farbpalette spricht möglicherweise nicht diejenigen an, die lebendigere Kunstwerke bevorzugen.
8

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Über den Autor

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

Autoren

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