Lady Killer – Deluxe Gesamtausgabe

3. Januar 2021
2 Minuten Lesezeit

Der Mensch ist fasziniert vom Bösen. Seit es Geschichten gibt, erzählt sich die Menschheit von schaurigen Monstern und Mördern in vielen Formen und Farben. In dieser Geschichte mit dem aussagekräftigen Titel „Lady Killer“ werden die Leser:innen ein weiteres Mal in brutale Abgründe des Menschen geworfen. Die erfolgreiche Zeichnerin und Autorin Joëlle Jones hat zusammen mit Jamie S. Rich eine in zwei Teilen erschienene Miniserie erschaffen. Darin wird, entgegen allen sozialen Konventionen und Erwartungen der 60er Jahre in den USA, das Leben einer weiblichen Auftragskillerin betrachtet. Panini Comics hat sich dieses Materials angenommen und dies in einem umfangreichen Hardcover auf den Markt gebracht. Es sei sogar schon eine Serien-Adaption geplant. Gezeichnet hat Joëlle Jones selbst und wurde von Laura Allred bei der Koloration großartig unterstützt.

Der Bruch mit den Erwartungen

Es sind die frühen 60er Jahre, der Ort sind die USA. Das Vorwort der Autorin Chelsea Cain gibt bereits preis, womit man zu rechnen hat. Es ist eine Abrechnung mit den vielen Stereotypen und Klischees, die sich um Serienkiller ranken. Meist sind es Männer, die blutige Tatorte hinterlassen. Frauen würden häufig gewaltfrei und mit Gift ihre Ziele auslöschen.

Doch dann kam Josie Schuller, die die Leser:innen eines Besseren belehrt. Sie ist „Angestellte“ einer Organisation, die nur „die Firma“ genannt wird, und mordet scheinbar schon seit Jahren erfolgreich in deren Auftrag. Allerdings sorgt sie in ihrem anderen Leben auch für zwei Kinder, einen Mann, der nicht so ganz genau hinschaut, und eine argwöhnische Schwiegermutter. Dieser filigrane Balanceakt scheint für die charmante Josie Schuller kein Problem. Wären da nicht die misstrauischen Vorgesetzten, die ihre zunehmende Inflexibilität als Schwäche deuten. So folgt schließlich Josies Wunsch, aus dem Business auszusteigen, sich von der Firma loszusagen. Dieser soll ihr allerdings nicht so einfach gewährt werden. Ihr Boss möchte sie auf dem für die Organisation sicheren und unendlichen Weg des Todes entlassen.

Schließlich gelingt es Josie, zwei weitere Killer zu überzeugen, mit ihr zu kooperieren. Die daraus entwickelte Freundschaft zu einem der Killer wird für ihr weiteres Schicksal extrem verhängnisvoll. Doch noch machen sich nur neue Türen auf. Denn was bis Josie zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, ist, dass Mutter Schuller den vermeintlichen Onkel und eigentlichen Cleaner (Tatortreiniger und Leichenentsorger) bereits aus ihrer ebenso geheimnisvollen Vergangenheit kennt. So schaukelt sich diese mordlustige und schonungslose Geschichte hoch und eskaliert grandios in Flammen und unerwarteten Wendungen.

Eine visuell treffende Momentaufnahme

Bereits beim Lesen bemerkt man, wie filmisch und atmosphärisch einladend diese Miniserie ist. Sie ist ziemlich hart, wenn auch das Blut anfangs noch schwarz anstatt rot koloriert wurde. Trotzdem spart Joëlle Jones nicht mit grafischer Gewalt und trifft ein ums andere Mal eine Tonalität, die an die Serie „Dexter“ erinnert. Die Zeichnungen dieser zwei Teile strahlen einen Retro-Look in Perfektion aus. Bereits das Cover verrät einem mit seinen Farben und Posen der Figuren, dass hier nicht an Klischees der 60er Jahre gespart wird. Doch gerade dies macht diese Reihe so fantastisch. Tapetenmuster, Kleidung, Frisuren und auch solch Dinge wie Altherren-Sprüche gegenüber Frauen und derzeitige Rollenbilder versprühen den Zeitgeist dieser Zeit mehr als überzeugend.

Die Figurendesigns passen sich nahtlos in diese Welt ein. Scharfe Gesichtszüge, spitze und teils diabolische Augenpartien und Bildkomposition allgemein greifen die markanten Eigenschaften der silbernen Ära des Comics gekonnt auf.

Dazu passend verleiht die Kolorierung von Laura Allred den Bildern die entsättigte und dennoch farbenfrohe Eigenheit dieser Zeit. Das Zusammenspiel aus Form und Farbe ist tatsächlich die ideale Vorlage für jede Serienadaption. Sogar insoweit, dass es wirklich nicht viel braucht, diese äußerst gelungene Miniserie in Bewegung zu versetzen.

In seinen Strukturen macht dieser Comic etwas stilistisch sehr Passendes. Es werden „alte Muster“ verwendet, wie das neun Panel Raster und viele Panoramapanels gestapelt, wenn es etwas mehr Action sein darf. Diese damals gewöhnlichen Panelaufteilungen wirken heute etwas rigide oder langweilig. Doch nicht in diesem so stilechten Comic, der nicht versteckt, was er sein will: eine Hommage an die 60er Jahre.

FAZIT
„Lady Killer“ ist eine extrem spannende, unterhaltsame und mit vielen Überraschungen aufwartende Miniserie. Schade nur, dass die angedeuteten Originstorys der Figuren und offenen Handlungsfäden so bald nicht in Comic-Form gebunden werden können. Der schöne Druck, die sehr umfangreichen Artworks, Konzeptzeichnungen und Arbeitsschritte der Künstlerin im Anhang sind ein weiteres Argument für diese gelungene Gesamtausgabe. Wem bisher Auftragskiller zu wenig Esprit und Charme hatten, der sollte sich dieses gelungene Hardcover besorgen und wird es nicht bereuen.
Pro
Einzigartige Perspektive, die Stereotypen in Frage stellt
fesselnde Erzählung
visuell beeindruckende Retro-Kunst
starke Charakterdesigns, filmische Qualität
Kontra
Grafische Gewalt könnte einige verunsichern
gelegentlicher Rückgriff auf Genre-Tropen
abruptes Ende
begrenzte Auseinandersetzung mit Hintergründen
9.4

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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