Ein Mann, den man als den kaltblütigsten und stoischsten Menschen beschreiben kann, und sein Kind streifen durch das Japan der Edo-Ära. Dieses Motiv wurde in vielen weiteren Werken benutzt und hat bisher jedes Mal eine große Fläche für Konflikte geboten. So auch in dieser vierten Ausgabe von „Lone Wolf & Cub – Master Edition“, die als gebundenes Hardcover mit Lesebändchen und abnehmbarem Schutzumschlag neu herausgebracht wurde.
Das von Kazuo Koike geschriebene und von Gôseki Kojima mit eindrucksvollen Zeichnungen und Malereien versehene Werk wirkt bis in die heutige Zeit. Die gesamte Reihe wird daher in dieser neuen Auflage in den nächsten Monaten und Jahren erscheinen. Ein Blick lohnt sich in jedes dieser massiven Kult-Mangas bei Panini.
Attentate, Briefe und Vatersorgen
Ogami Itto, der ehemalige Sekundant (ritueller Scharfrichter) des Shoguns, fiel durch einen Komplott des Yagyu-Clans in Ungnade. Sie entehrten den dem Bushido (Weg des Samurai) treuen Mann, töteten seine Frau und vertrieben ihn aus der Hauptstadt. Ihm blieb somit Weniges übrig. Als Konsequenz daraus betrat er somit den Weg der Verdammnis, sein Sohn Daigoro auch. Das Kind ist der wunde Punkt eines anscheinend unverletzbaren Protagonisten, der trotz seiner Härte innigst von ihm geliebt wird. Der womöglich erst Dreijährige hat bereits den eiskalten Blick eines Samurais, denn er befindet sich wie sein Vater auf dem Weg der Verdammnis. Sie riskieren damit mehrfach ihr Leben und sind bereit, jeder Zeit dem Tod ins Auge zu blicken, was sich in den Close-ups und teils wortlosen Panels in den Expressionen der Figuren eindrucksvoll bebildert zeigt.
Der Konflikt mit dem Yagyu-Clan unter dem Anführer Retsudo ist jedoch bei Weitem nicht geklärt und schwelt gefährlich. Sie schicken unterdes Auftragsmörder, die dem Hof des Shoguns nahe sind, in ihrem Auftrag los, um mehrfach den frühen Tod Ogami Ittos herbeizuführen. Jedes Mal werden sie dessen Schwertkunst unterlegen sein. Nebst zahlreicher Duelle, auch gegen eine vermeintliche Überzahl an Samurais, begleiten wir die Zwei durch das Japan der vorindustriellen Zeit. Man erfährt auch in dieser Ausgabe wieder vieles zum alltäglichen Leben der „gewöhnlichen“ Menschen, denen nicht das Geburtsrecht der Samurai-Kaste vergönnt war.
Spätestens im letzten Drittel wird klar, worauf die Geschichte zukünftig abzielt. Der Yagyu-Clan sah sich von Ogami Itto (durch den Diebstahl einer verschlüsselten und geheimen Nachricht an den Hof des Shoguns) genötigt, seinen Eid zu brechen und direkt anzugreifen. Nun ist der ehemalige Sekundant ein offen gejagter Feind des einflussreichen Clans am Hof. Keine verdeckten Attentate, intrigante und hinterlistige Giftattacken durch rührselige und einfühlsam scheinende Ärzte oder Auflauern im Wald warten ab jetzt auf sie; die Truppen sammeln sich nun offen und greifen ohne falsche Scheu an. Es scheint wie immer unwahrscheinlich gut für Itto und Daigoro zu laufen, bis ein wahrlicher Cliffhanger diesen vierten Band auf hoher Spannung beendet.
Dynamisch und atmosphärisch
Viele Kapitel beginnen mit gemalten Landschaften, also tatsächlich gemalten Panels. Die weichen Grautöne, die von einem raffiniert feinfühligen Pinselstrich zeugen, erschaffen einen Eindruck, den man dieser Tage selten in Mangas findet. Seitenweise wird in bewusst langsamem Tempo ein Gefühl für den Moment aufgebaut, eine Stimmung erzeugt, ein vergänglicher Augenblick eingefangen. Häufig sind es die kleinen und beiläufigen Dinge, die sich darin entfalten können. So gewinnt Daigoro an Charakter, die Beziehung der Zwei wird immer klarer dargestellt und auch zu gewissen Teilen nachvollziehbarer.
Es scheint manchmal irgendwie überstilisiert und kitschig, wie die Perspektive über ein romantisiertes Japan vor der Industrialisierung ausgesehen haben muss. Der damit einhergegangene Traditionsverlust und die Ehre, die hier immer wieder als Kernmotiv präsentiert wird, sind historisch belegt, wenn auch die erzählende Sicht wenig distanziert davon scheint. So verschlingt einen dieses Werk in Ehrenmorde, abzuwehrende Scham und Gefallen, die gemacht werden, um sein Gesicht vor sich und anderen zu verlieren.
Dieses Werk ist somit aus zweierlei Betrachtungen interessant. Zum einen ist es künstlerisch auf einem selten erreichten Niveau, das sich gerade dann zeigt, wenn die wortlosen Panels, an Tempo gewinnen, der Kampf sich zuspitzt und man fast mit den Augen nur so darüber fliegt. Zum anderen wirkt dieses Zeitdokument der 70er Jahre aus Japan wie ein Kaleidoskop der kulturellen Identität – zwischen Tradition, Ehre und einer emotional offener verarbeitenden Vergangenheit. Sehr spannend und daher aus mehreren Gründen lesenswert.