Ein Besuch bei den Visions
Eine Familie aus Synthezoid-Robotern begrüßt einen herzlich, halb durch die Tür gephased, zum Besuch bei den Visions.
Der Titel „Eine (fast) normale Familie“ ist dabei nicht nur Anspielung auf „Eine ganz normale Familie“ (1980), sogar die „Desperate Housewives“-Bezüge sind klar erkennbar.
Auch die in diesem Comic aufgeworfenen philosophischen Fragen des Menschseins, der Normalität und der Liebe finden ihre Anlehnung an Werke des Philip K. Dick, der Inspiration für viele Filmproduktionen wurde („Matrix“, „Blade Runner“, „Minority Report“).
Dieses 136 Seiten starke und inhaltlich zum nachdenklichen Schwelgen anregende Werk von Tom King liefert einen idealen Einstieg in die Welt des Vision. Es bietet zudem großartige philosophische Fragen, die sich in unserer digitalen Zeit mehr als beantwortet sehnen.
Die Optik
Das Paperback umfasst die ersten sechs bereits 2016 veröffentlichten Kapitel des von Tom King verfassten und von Gabriel Hernandez Walta zeichnerisch umgesetzten Werks. Jordie Bellaire ist verantwortlich für die Kolorisierung, welche eine wunderbare gedeckte, teilweise pastellfarbene Atmosphäre schafft und nie zu grell wird. Die manchmal körnige Optik in Kombination mit den Schattierungen, die wie getuscht wirken, geben dem ganzen Comic einen gewissen bodenständigen Eindruck.
Nachdem King, der sich nach dem 11. September 2001 als Agent der CIA anschloss, um 10 Jahre später zu seinen Wurzeln des Autors zurückzukehren, diesen Story-Arc beendete, wurde er Autor für DC und eine längere Reihe Batman-Comics. Hernandez ist sicherlich durch seine Arbeiten an den „Astonishing X-Men“, „die neuen X-Men“ und „King Thor“ bekannt. Der Zeichenstil wirkt klar, aufgeräumt, ein wenig „used-look“ und birgt wunderbar stimmige szenische Panels, die im Kopf des Lesenden schnell zu einem Storyboard einer Familien-Soap werden. Dass WandaVision (2021, Disney) fünf Jahre nach Erscheinen dieses Werks eine ähnliche Thematik oder zumindest Setting wählt, ist sicherlich kein Zufall.
Die Themen
Die Visions sind neu in der Nachbarschaft und sie möchten sich integrieren, laden Nachbarn ein, die Kekse mitbringen, die Kinder „spielen“ mit den anderen aus der Straße und Vision geht seinem geregelten Job des Superhelden unter Befehl des Präsidenten nach.
Die Vorstadt symbolisiert die Normalität vieler, vornehmlich an Colleges ausgebildeten weißen US-amerikanischen Familien, die ihren Weg in eine lebenslange Verschuldung gehen und in einem Haus den „amerikanischen Traum“ leben wollen. Gerade hier treffen sie auf Angst vor ihnen, Verachtung durch Graffiti schmierende Kids und argwöhnische Nachbarn, die sich um die Sicherheit ihrer eigenen Kinder an der Highschool sorgen.
In der Highschool der Kinder Viv und Vin erleben sie gewöhnliche Highschool-Probleme, obwohl sie sich von Anfang an als die extrem fremdartigen und angsteinflößenden Wesen sehen lassen müssen. Ihre Fähigkeiten zu Phasen, also ihren Körper für Materie durchlässig zu machen, wie der Fakt, dass sie an ihrem ersten Schultag schwebend über dem Hof erscheinen, macht die Situation „Highschool“ nicht leichter für die zwei. Die Frage nach „Normalität“ ist eine zentrale in diesem die Kinder Visions begleitenden Teil der Geschichte.
Die Eltern, Vision und Virgina, befassen sich ihrerseits mit den Folgen eines Zwischenfalls im Hause Vision. Der namensgebende Protagonist seinerseits trägt seinen eigenen Konflikt von Verantwortung für die Leben seiner Familie, denn er hat sie schließlich aus sich heraus erschaffen, und der Zuneigung für seine Frau.
Gegen seinen Willen kehrten seine Gedanken immer wieder zum Ursprung der Hirnwellen seiner Frau zurück. Nein, dachte er. Weg Damit! Es ist unwichtig. Erinnere dich, dachte er. Dies ist deine Frau. Du musst sie lieben.
Vision 1 – Eine (fast) normale Familie“, Panini Verlag
Virginia ihrerseits trägt Schuld für den handlungsbestimmenden Zwischenfall in sich und droht an der Last ihres Geheimnisses verrückt zu werden.
Zu aller Überraschung wird ab der Hälfte eine weitere Person eingeführt, die im kontextgebenden Vorwort von Christian Endres bereits angedeutet wird. Diese Wendung, vorausschauend und rückblickend in dem Comic, ist ganz fantastisch und bietet einen großartigen Einstiegspunkt für den zweiten und letzten Band dieser Mini-Serie.
[…] wird klar, dass Jesse anders ist als andere Androiden. Sie ist wissbegierig, kann Empathie empfinden und entwickelt sich rasant zu einer pubertierenden […]